
dramatische Wolken über Skrova
Samstag, 14. Mai
Auch heute Morgen sorgt der erste Blick aus dem Fenster für Ernüchterung, und mir fällt der Songtitel „Battleship Grey“ ein, der das Wetter ebenso kurz wie treffend beschreibt. Also drehe ich mich nochmal um und ratze weiter.
Vor uns liegt ein megalanges Wochenende mit dem Pfingstmontag und tags darauf dem Nationalfeiertag als zusätzlichem Freizeitblock. Leider haben da auch alle Geschäfte zu, weshalb wir bis spätestens heute Nachmittag außer den Lebensmitteln für die restlichen Tage auch gleich die Mitbringsel für die Familien zu Hause besorgen müssen. Direkt nach dem Frühstück machen wir uns auf zum Lofotsenteret in Leknes, wo schon die Einkaufswagen knapp werden, so voll ist es. Wir haben trotzdem nach kurzer Zeit unsere Einkäufe beisammen und bringen die Beute zurück ins B&B.
Robert möchte noch einmal weiter nach Osten fahren, „Henningsvær sehen und sterben“. Keine schlechte Idee, zumal dieser Ort durch seine geografische Lage vor der Hauptinsel Austvågøya oft besseres Wetter hat als der Rest der östlichen Lofoten. Derzeit findet hier das Codstock-Musikfestival statt, weswegen das Dorf proppenvoll mit Besuchern ist. Bloß schnell weg hier! Ein paar Erinnerungsfotos will Robert am Hafen noch schießen, aber dann hat auch er genug. Wir fahren weiter nach Svolvær und drehen eine kleine Runde durch das Stadtzentrum. Potzblitz, da kommt doch tatsächlich die Sonne raus! Also begeben wir uns hinüber zur Halbinsel Svinøya, von wo aus man einen schönen Blick auf die Stadt und die vorgelagerten Inseln hat. Über Lille Molla und Skrova bauen sich gerade wieder eindrucksvolle Wolkentürme auf. Allerdings ist das Licht gerade etwas zu grell und die daraus resultierenden Fotos nicht ganz erste Sahne. Ein kurzer Abstecher zum Ortsteil Nybyen und Anne Gerds ehemaligen Wohnhaus wird noch eingeschoben, bevor wir Svolvær den Rücken kehren und unser Glück nochmal auf Gimsøya versuchen wollen.
Auf dem Weg dorthin halten wir unterhalb der Gimsøystraumen-Brücke, weil sich gerade wieder mal ein paar schöne Wolkenformationen über den Bergen gebildet haben. Robert will hier versuchen, mit seinem Fisheye-Objektiv das imposante Bauwerk mitsamt gebirgigem Hintergrund in Szene zu setzen. Nach einer halben Stunde geht’s weiter zum Friedhof mit seiner schlichten Holzkirche, die mir von vergangenen Reisen als stets lohnenswerte Location in Erinnerung geblieben ist. Weil aber auch hier der Sonnenschein fehlt, beschränken wir uns mehr oder weniger auf Detailaufnahmen, bei denen dies nicht so die große Rolle spielt. Ich schleiche mich, mit dem Teleobjektiv bewaffnet, vorsichtig an einen Vogel der hier recht verbreiteten Art Grallatus Cacaturicus – besser bekannt als Lofoten-Kackstelze* – heran und kann aus wenigen Metern ein schönes Portrait knipsen. Robert legt sich bei seinen Bildern im wahrsten Sinne des Wortes so sehr ins Zeug, daß ihm fast die Schuhe voll Wasser laufen, als er auf den mit Seetang bewachsenen Felsen herumrobbt und dabei ausrutscht.
Wieder im B&B angekommen, braten wir ein paar Stücke Lachs aus den gekauften Vorräten und essen noch etwas Salat vom Vortag. Micha möchte gerne ein wenig Reis dazu haben und setzt das Kochwasser an, als ich plötzlich eine starke Veränderung des Lichts bemerke. Da bahnt sich ein phantastischer Sonnenuntergang an. Jetzt stehen wir vor der Frage: dem Körper wichtige Nährstoffe vorenthalten oder auf eine großartige Chance auf gute Fotos verzichten? Die Gruppe entscheidet nicht einheitlich, so daß Robert und ich per Alarmstart zum nächstgelegenen Küstenabschnitt aufbrechen, während Micha in Ruhe sein Abendessen zu sich nehmen kann. Der schnelle Entschluß, ohne Verzögerung nach Myrland, einem meiner Lieblingsstrände zu fahren, wird vor Ort durch einen sehr fotogenen Sonnenuntergang belohnt. Zusätzliches Glück: Die Weidesaison hat noch nicht begonnen, so daß dieses Motiv noch unberührt ist – normalerweise treiben sich hier immer zig Schafe herum und stellen den schönen Strand unschön voll.
* Lofoten-Kackstelze (Grallatus Cacaturicus): ein nervöser, elsternartiger Vogel mit dem Hang zum Suizid. Es gibt eine recht populäre, wenngleich ziemlich traditionalistische Ornithologenmeinung, die das von mir fotografierte Exemplar der Gattung der Austernfischer zuordnet. Dazu kann ich nur sagen: Humbug!
Myrland

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