Wintertour 2015

Abend am Tromsøysund

Montag, 16. Februar

Heute müs­sen wir unser kusche­li­ges Quartier lei­der schon wie­der ver­las­sen. Und aber­mals zei­tig auf­ste­hen, denn auch die heu­tige Hundeschlittentour beginnt schon kurz vor 10 Uhr. Anschließend soll­ten wir rela­tiv zügig ins 250 Straßenkilometer ent­fernt gele­gene Skjervøy fah­ren. Bei 70° nörd­li­cher Breite, dem ‘höchst­ge­le­ge­nen’ Punkt unse­rer Reise, wol­len wir kurz nach 19 Uhr das Postschiff der Hurtigruten entern, das uns auf die wie­derum 500 Kilometer wei­ter süd­lich lie­gen­den Lofoten brin­gen wird. Ein klei­ner „Von-hinten-durch-die-Brust-ins-Auge”-Kunstgriff, denn das Schiff hält auch in Tromsø. Aber das eben erst um kurz vor Mitternacht, und bis dahin müß­ten wir uns die Zeit in der Stadt um die Ohren schla­gen, was zu die­ser kal­ten Jahreszeit nicht unbe­dingt zu den ange­nehm­sten Verrichtungen zählt. Außerdem würde ich gerne mal die Lyngen Alpen sehen, eine etwas nörd­lich von Tromsø gele­gene Bergkette. Ähnlich wie die Lofoten, also zip­felig und sehr steil – aber dop­pelt so hoch und sehr beein­druckend. Touristisch noch nicht über­lau­fen, und damit ein inter­es­san­tes Ziel für eine der kom­men­den Winterreisen in den hohen Norden Europas.
Glücklicherweise habe ich gestern schon die Koffer gepackt, so daß unser Abflug recht unhek­tisch von­stat­ten geht. Treffpunkt ist am Scandic Hotel in Hafennähe. Ich habe gestern Abend die Lage des Husky-Camps recher­chiert und bitte die deut­sche Tourleiterin um Individualanreise. Sie stimmt zu, und ich darf mit Jo alleine zur Basis fah­ren, um nach dem Ende der Tour ohne Zeitverlust direkt Richtung Skjervøy auf­bre­chen zu kön­nen. Nach den Erfahrungen von vor­ge­stern würde ich näm­lich gerne so lange wie mög­lich im Hellen fah­ren. Nach einer hal­ben Stunde haben wir den Parkplatz der Huskyfarm erreicht. Da der Bus noch etwas auf sich war­ten läßt, neh­men wir schon ein­mal die Gehege der Schlittenhunde in Augenschein. Kurze Zeit spä­ter ist die Gruppe kom­plett und erhält eine kurze Einweisung. Heute braucht nie­mand unbe­dingt Overalls und Boots, weil wir 0°C haben und zudem die Sonne scheint. Aber im Gegensatz zu gestern ist hier bei Tromsø Villmarkssenter Massenabfertigung ange­sagt. Gar nicht schön!
Allein unsere Gruppe besteht aus ca. 20 – 30 Personen, und wir über­neh­men die Schlitten samt Huskies von einer ebenso star­ken Mannschaft direkt bei deren Rückkehr zur Base, wobei es wie auf einem gro­ßen Bahnhof zugeht. So einen Rummel brau­che ich so nicht noch mal und spei­chere die Company von gestern als Favorit im Gedächtnis. Die heu­tige Tour ist ähn­lich lang, aller­dings darf Jo auf­grund der stren­ge­ren AGBs und der etwas unent­spann­te­ren Guides nicht den Schlitten len­ken. Macht aber nix, denn die Strecke war­tet mit eini­gen hef­ti­gen Bodenwellen auf, und mein Sohn ist ganz froh, gut ver­staut in sei­nem Schlitten zu sit­zen. Nach der Rückkehr, wo übri­gens bereits die näch­ste Hundertschaft Touristen auf die Übernahme der Gespanne war­tet, kön­nen wir noch die Welpen-Station besich­ti­gen. Johannes darf sogar einen der klei­nen Huskies auf den Arm neh­men und hat wie­der ein ein­präg­sa­mes Erlebnis abgefaßt.
Um Zeit zu spa­ren, ver­zich­ten wir auf das Mittagessen und bre­chen kurz nach eins Richtung Norden auf. Allerdings las­sen wir die Lyngen Alpen heute im wahr­sten Sinne des Wortes links lie­gen, statt mit­ten hin­ein zu fah­ren. Erstens war die ein­zige hin­durch füh­rende Straße in den ver­gan­ge­nen Tagen öfters wegen Lawinengefahr gesperrt, und auch die bei­den Autofähren, die wir hät­ten benut­zen müs­sen, glänz­ten in der letz­ten Zeit nicht gerade durch Zuverlässigkeit. Mal fuh­ren sie nicht wegen Wind bzw. Unwetter, mal wegen tech­ni­scher Probleme gar nicht oder mit redu­zier­ter Kapazität. Also ent­scheide ich mich für die sichere Variante außen um die Halbinsel Lyngen herum.
Wobei: was ist im Winter in Nordnorwegen schon sicher? Auch die E6 und die etwas klei­nere Reichsstraße 866 waren in den ver­gan­ge­nen zwei Wochen immer mal wie­der wegen Unwetter, star­kem Schneefall und /​ oder not­wen­di­ger Tunnelbauarbeiten strecken­weise gesperrt. Im Nachhinein wird sich meine Routen-Entscheidung noch als gold­rich­tig erwei­sen, denn exakt am heu­ti­gen Tag kom­men zwei deut­sche Skifahrer in einer Lawine am Fastdalstinden ums Leben. Dieser Berg liegt direkt an der Straße, die wir auf unse­rem Weg durch das Gebirge hät­ten neh­men müs­sen. Das werde ich Melanie mal lie­ber nicht erzählen 😉
Heute ist das Wetter traum­haft, meine Straßenzustands-App zeigt grü­nes Licht auf der gesam­ten Route, und wir kom­men gut voran. Aber 240 Kilometer ver­ei­ste Landstraße im Winter sind eben kein Pappenstiel, und so sind wir beide froh, kurz vor 18 Uhr die Insel Skjervøy mit ihrem recht hüb­schen Hauptort und dem dazu­ge­hö­ri­gen Hafen erreicht zu haben. Ich ver­treibe mir die Zeit bis zur Ankunft unse­res Schiffes mit Fotografieren, wäh­rend Johannes im Auto bleibt und sich die Finger bei WhatsApp wund tippt. Die MS „Midnatsol” legt mit leich­ter Verspätung am Kai an, soll aber pünkt­lich wie­der abfah­ren, so daß das Beladen sowie das Ein- und Aussteigen zügig von­stat­ten gehen müs­sen. Aber kein Problem: unser Auto wird uns von der Crew abge­nom­men und fach­män­nisch im Unterdeck ein­ge­parkt, wäh­rend wir schon mal unsere Koffer neh­men und bei der Rezeption ein­checken kön­nen. Effizient möchte ich das nennen!
Das Gute am Job eines Fluglotsen ist unter ande­rem der Umstand, daß man sich auf Reisen gele­gent­lich das ein oder andere Extra lei­sten kann, ohne die Haushaltskasse kom­plett zu rui­nie­ren. Und des­halb habe ich unsere Kabine auf eine Suite upge­gra­det, was Johannes bereits nach dem ersten Betreten der­sel­ben mit unauf­hör­li­chen Begeisterungs-Bekundungen hono­riert. Unsere Suite Nr. 818 ‘Hvitveis’ – das heißt über­setzt Buschwindröschen – bie­tet viel Platz und einen eige­nen Erker mit Panoramafenstern, die einen unge­stör­ten Blick auf die vor­bei­zie­hen­den Landschaften ermög­li­chen. Gemütliche Sitzecke mit Minibar, gro­ßes Bad und dane­ben sogar ein Ankleidezimmer und schließ­lich ein beque­mes Doppelbett. Obendrein gibt es als Begrüßung einen Korb mit fri­schem Obst. Wir sind begei­stert. Nun ja, wenn wir unsere Mädels eine Woche auf AIDA-Tour mit Balkonkabine schicken kön­nen, dann wer­den wir uns die­sen klei­nen Luxus für eine Nacht an Bord erlau­ben dürfen.
Johannes ist über­glück­lich, als wir an der Rezeption den deut­schen Reiseleiter Marco Voigtländer tref­fen – bekannt aus Funk, Fernsehen und vonne Butterfahrten. Wir haben in der letz­ten Zeit im Fernsehen einige Dokumentationen über die Hurtigruten gese­hen, und Marco war immer mit von der Partie. Deshalb ist er für Johannes fast so etwas wie ein Filmstar und kann mit einem Autogramm nebst per­sön­li­cher Widmung auf einer sei­ner Visitenkarten mäch­tig Punkte sammeln.
Mein Sohn kann sein Glück kaum fas­sen: wir fah­ren mit dem schön­sten Hurtigruten-Schiff, tref­fen einen Prominenten und essen schließ­lich einen Hamburger im Restaurant – der Tag könnte nicht bes­ser lau­fen! Nach dem Schmaus und dem obli­ga­to­ri­schen Besuch im Bordshop unter­neh­men wir einen klei­nen Rundgang über die Decks und haben wie­der Glück: gegen halb zehn kön­nen wir inten­sive Nordlichter direkt über dem Schiff beob­ach­ten. Großes Geraune und Gejohle auf dem Sonnendeck, über das man vor lau­ter Stativen kaum unfall­frei gehen kann. Um zehn und nach der Begegnung mit Jo’s Lieblingsschiff „Finnmarken” steht noch ein Programmpunkt auf unse­rer Agenda, der durch Marcos Lautsprecheransagen schon mehr­fach am Abend pro­mo­ted wurde. Im gro­ßen Aussichtssalon auf Deck 7 soll noch eine Modenschau statt­fin­den, bei der – und das ist das Besondere – Crewmitglieder die Kleidungsstücke prä­sen­tie­ren. Am Anfang finde ich das Schauspiel ein klit­ze­klei­nes biß­chen unwür­dig – eine stolze Hurtigruten-Crew (und beson­ders der Kapitän) sollte so einen Zirkus nicht machen müs­sen. Aber wenn sie mit den Provisionen an den ver­kauf­ten Shop-Artikeln ihr, ver­mut­lich mit selbst für nor­we­gi­sche Verhältnisse spit­zem Bleistift berech­ne­tes Gehalt etwas auf­bes­sern kön­nen, sei es allen von Herzen gegönnt. Außerdem komme ich nicht umhin, ver­bor­gene Talente bei dem ein oder ande­ren Mannschaftsmitglied aus­zu­ma­chen. War z.B. die Chefin des Bordshops vor­hin noch eher kühl und zurück­hal­tend, hat sie doch sicht­lich Spaß auf dem impro­vi­sier­ten Laufsteg. Der Restaurantchef ist eine wahre Rampensau und kann seine mit­lau­fen­den Kolleginnen und die Passagiere mit­zie­hen und begei­stern. Eine junge Dame von der Rezeption führt die Beweiskette für meine These fort, daß es auf der gan­zen Welt keine ein­zige häß­li­che Frau mit dem Namen Stine gibt, und Marco schließ­lich mode­riert die Show auf seine eigene läs­sige Art, die wir schon aus den Fernsehdokus ken­nen. Den Abschluß bil­det ein Defilee aller Beteiligten zum Aprés-Ski-Hit mit dem Helikopter. Die Zuschauer applau­die­ren begei­stert, und wir haben jetzt für den Rest des Urlaubs einen Ohrwurm. Angesichts der vor­ge­rück­ten Stunde zie­hen wir uns zurück in unsere Kabine, neh­men eine heiße Dusche und machen es uns im Bett gemüt­lich. Jetzt noch etwas lesen und dann bei offe­nen Vorhängen und dem Blick auf vor­bei­zie­hende Landschaft ein­schla­fen. Was für ein herr­li­cher Tag!

Hafen in Skjervøy

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