Kverkfjöll
Mittwoch, 22. September
Mnjap-Mnjap. Gähn… Ich habe super geschlafen und werde von der Sonne geweckt. Moment mal: von der Sonne? Yes, Sir! Fett und rund steht sie an diesem Herbsttag am Morgenhimmel. Na dann wollen wir mal zusehen, daß wir in die Gänge kommen. Nach dem reichhaltigen Frühstück am gut gefüllten Büfett im Fjallkaffi schlendern wir im Sonnenschein gemütlich zur Unterkunft zurück, als wir am Rande des Bohlenweges zwei junge Polarfüchse erspähen, denen offenbar jede Scheu vor Menschen fehlt. Ich hole schnell die Kamera und das „Mammut“, mein 100-400mm Teleobjektiv, aus dem Zimmer und kann zumindest einen der beiden Füchse formatfüllend aufs Bild bekommen. Sein Geschwister hält sich eben noch im Gras versteckt, aber bald schon fangen beide wieder an, direkt neben dem Weg miteinander zu spielen und vergessen dabei ihre immer zahlreicheren menschlichen Beobachter. Mit solchen Tierbegegnungen hatte ich gar nicht gerechnet und freue mich natürlich wie Bolle über diese unverhoffte Gelegenheit. Unsere für heute geplante Route führt uns auf Michas Wunsch zum Nordrand des Vatnajökull, weil es hier einen Track gibt, der zumindest auf der Karte den Anschein erweckt, unmittelbar an der Eiskante zu enden. Also fahren wir erst einmal auf der F905 Arnadalsleið in Richtung Süden. Die gesamte Landschaft ist mit einer filigranen Rauhreifdecke überzogen, denn über Nacht ist die Temperatur unter Null gefallen. Gut, daß wir lange Unterhosen eingepackt haben! Unser Schicksalsberg Herðubreið scheint dank der klaren Luft wieder zum Greifen nah, aber wir biegen heute an der entscheidenden Weggabelung in die entgegengesetzte Richtung ab. Ab hier folgen wir der F910 Austurleið, der „Rennstrecke“ vom Fähranleger in Seyðisfjörður zur Askja (so lautet zumindest die Beschreibung im Trackbook Iceland). Außer uns ist auf dem ersten Abschnitt dieser Route niemand unterwegs. Zusammen mit der unglaublichen kargen und unbewohnten Landschaft ist dies eine neue Dimension von Einsamkeit, die man sonst in Europa kaum irgendwo so vorfindet. Nach der ersten einfachen Furt über den Fluß Þrihyrnigsá lasse ich alle paar Kilometer meinen Chauffeur anhalten und starte die Drohne, um vielleicht doch irgendwo Zeichen von Zivilisation zu entdecken. Aber da ist einfach nichts, gar nichts. Ganz stimmt das dann doch nicht, denn einer der größten menschlichen Eingriffe überhaupt in diese ansonsten oft noch unberührte Landschaft Islands liegt in etwa zwei Stunden an unserer Route: der Staudamm von Karahnjukar. Hier wird Elektrizität für eine in den Ostfjorden befindliche Aluminiumfabrik erzeugt, mit der sich wahrscheinlich gutes Geld verdienen läßt. Auf dem Lambafell, dem letzten Berg, den wir kurz vor dem Wasserkraftwerk passieren müssen, halten wir noch einmal und lassen die Szenerie ein paar Minuten lang auf uns einwirken. In einiger Entfernung erkennen wir schemenhaft unser Primärziel, den Snæfell – mit 1833m der vierthöchste Berg Islands. Bis dahin ist es noch ein ganzes Stück zu fahren. Wir setzen uns wieder ins Auto und beginnen die lange Abfahrt hinunter zum Staudamm Karahnjukar. Noch bevor wir ihn erreichen, sieht man von Weitem die Gischtwolke aus seinem Wasserablauf. Und als wir am Parkplatz oberhalb der Staumauer halten, dringt noch vor dem Aussteigen das dumpfe Donnern des herabstürzenden Wassers zu uns herein. Hier müssen gewaltige Kräfte am Wirken sein! Die Drohne steigt zu einem kurzen Erkundungsflug auf, während Micha sich die verschiedenen Infotafeln durchliest, mit deren gesammeltem Faktenschatz er mich dann auf dem nächsten Streckenabschnitt weiterbilden kann. Nach einer halben Stunde fahren wir wieder los. Etwa 20 km weiter östlich verlassen wir das kurze Stück asphaltierte Straße und biegen auf die F909 Snæfellsleið ab. Hier merkt man, daß wir uns doch schon ziemlich hoch befinden müssen, denn die Strecke ist stark vereist. Noch empfange ich mobile Daten, also mal kurz der Online-Faktencheck: jawoll, es ist mit 840m eine der höchstgelegenen Pisten des ganzen Landes. Und dazu eine von der eher buckligen und steinigen Sorte, für die man robuste Reifen, kombiniert mit großer Bodenfreiheit benötigt. Beides haben wir, also weiter. Unweit der Hälfte der Strecke befindet sich der namensgebende Berg. Immer noch oder bereits schon wieder ist sein Gipfel von Wolken verdeckt, aber den Gletscher etwas unterhalb davon kann man gut erkennen. Nach ein paar wenig künstlerischen Beweisfotos setzen wir unsere Fahrt fort. An der Snæfellskáli-Hütte überlegen wir kurz, ob wir – angesichts wieder aufziehender Bewölkung – umdrehen sollen, zumal die Beschaffenheit der bisherigen Strecke kaum Anlaß zur Begeisterung gab. Wir entscheiden uns aber zur Weiterfahrt, denn erstens wollen wir wenigstens noch wissen, welche Ausblicke uns hinter den nächsten ein, zwei Biegungen erwarten. Und so ewig weit sind wir von dem für heute ausgegebenen Sekundärziel Vatnajökull gar nicht mehr entfernt. Schätzungsweise zwanzig Kilometer, das versuchen wir mal. Die Fahrt wird noch bis zu einem Ausläufer des Bjálfafell fortgesetzt, von wo aus wir einen unverbaubaren Blick auf Europas größten Gletscher genießen können.
Blick zum Vatnajökull
Aber hier enden selbst die dicksten Reifenspuren in einer Wendeschleife, und wir ahnen warum. Es sind vielleicht noch acht Kilometer bis zur Eiskante, aber dazwischen liegen eine lange, steile und steinige Abfahrt und dahinter – im Vorfeld des Vatnajökull – natürlich ein großflächig mäandernder Schmelzwasserfluß. Handyempfang gleich Null, potentielle Hilfsfahrzeuge sind auch nicht in der Nähe, deshalb lassen wir es an dieser Stelle gut sein und kehren um. Etwa eine Stunde später haben wir erneut die Dammkrone in Karahnjukar überquert und biegen nun nach links auf die furtenfreie F910 Austurleið in Richtung Südwesten ab. Diese bekannte Route sollte ja eigentlich gut zu befahren sein, denn sie ist für weniger geländegängige Fahrzeuge als unseres die einzige Möglichkeit, ohne nasse Füße zur Askja zu kommen. Vielleicht ja sogar wieder eine “genußvolle Strecke”? Erwartungshaltung: deutsche Autobahn. Realität: sibirischer Steinbruch. Nach einer Stunde übelster Rüttelei auf der schlecht markierten Piste muß ich doch mal eben unser Tourenbuch aufschlagen, ob ich mich da nicht verlesen habe. Aber nein. Mein Guide sagt: blaue Route und damit analog zur Klassifizierung von alpinen Ski-Abfahrten ein eher leichter Schwierigkeitsgrad. Vielleicht wird es ja noch besser? Natürlich nicht. Das nervige Rumgebocke über spitze Steinfelder und sandige Ebenen ohne sichtbare Markierungen geht noch fast zwei Stunden so weiter. Endlich erreichen wir am Nachmittag den Anschluß zur F905 und wieder vertrautes Terrain. Mann, jetzt bin ich aber auch froh, daß das olle Gebollere endlich vorbei ist. Wir steigen an der Gabelung aus und vertreten uns erstmal fünf Minuten die Beine. Ein paar Kilometer fahren wir noch in Richtung Askja, aber so richtig Lust auf lange Strecken haben wir nicht mehr, zumal wir das folgende Stück ja bereits von 2017 kennen. Also drehen wir um und lenken den Wagen nach Hause. Unterwegs muß noch einmal eine erstaunlich tiefe Furt über die Þrihyrnigsá durchfahren werden. Unser aufgemotzter Landcruiser taucht bedrohlich tief ein – wie haben wir das denn vor 4 Jahren gemacht? Kurz vor Möðrudalur fliege ich mit der Drohne noch eine Runde in der Abendsonne, bevor wir den letzten kurzen Abstecher unternehmen. Ein paar Kilometer wollen wir noch auf der Möðrudalsleið entlang fahren, weil das vielleicht bei unserer Abreise eine Alternative zur Ringstraße sein könnte. Aber schon nach dem ersten Anstieg ist sie bedeckt von Eis und Schnee, und das benachbarte Tal sieht bereits schwer nach Spitzbergen aus. Wir machen uns endgültig auf den Heimweg. Duschen, Umziehen, dann geht’s ab ins Restaurant. Heute bestellen wir geschmorte Lammrippchen und dazu natürlich ein schönes kühles Bierchen. Oder auch zwei. Weil wir mittags nix gegessen haben, leiste ich mir sogar einen Nachtisch. Die Daheimgebliebenen werden später noch telefonisch auf den neuesten Stand gebracht, und schon ist wieder ein Reisetag vorbei.
Árnadal bei Möðrudalur
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