"im Prinzip wie Nordkorea"

Island

28. August - 4. September 2022

Übersicht

Anreise

Fjallabak, Mælifellssandur, Þorsmörk

Veiðivötn

Sprengisandur

Hekla, Krakatindur, Landmannalaugar

Jökulheimar, Veiðivötn

Mælifell, Öldufell, Laki-Spalte

Bevor wir die steile These vom Cover dieses Beitrags erklären und in den richtigen Kontext setzen können, müssen wir im Reisebericht noch ein paar Tage warten. Erst einmal ein kurzer Rückblick: Nach der wegen eines plötzlichen Wintereinbruchs etwas anstrengenden Reise vom letzten Jahr wünschten sich sowohl Micha als auch ich eine Wiederholung unter besseren Bedingungen. Einige Touren im Hochland konnten wir aufgrund von gesperrten Straßen und geschlossener Schneedecke nicht fahren, und bei anderen ließ das Wetter doch stark zu wünschen übrig. Mit den diesjährigen Rahmenbedingungen schlagen wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Der Reisezeitraum von Ende August bis Anfang September ist für unser Vorhaben perfekt geeignet. Dank der Teilnahme meines Kollegen Christian Lofi als “die Stimme der Vernunft” sollte es weniger Diskussionen zwischen Micha und mir geben, und schließlich reißen die durch drei geteilten Kosten ein deutlich kleineres Loch ins Portemonnaie jedes Einzelnen. Wir können uns obendrein beim Kochen und Autofahren abwechseln, und ich persönlich erhoffe mir von Lofis Teilnahme neue kreative Bilder von bekannten Motiven, die unser Fotobuch sicher bereichern werden.
Hekla

Sonntag, 28. August – Anreise

Machen wir uns nix vor: mit dem Alter kommt die Bequemlichkeit. Als Lofi und ich die Wahl hatten, fürs Flugticket nach Keflavik 120€ Aufpreis für einen extra Koffer oder 180€ für je einen extra Koffer, kommode Sitze vorne mit ordentlicher Verpflegung im Flugzeug und Lounge-Zugang an den Startflughäfen haben könnten, fiel uns die Entscheidung nicht sonderlich schwer. Die erste Erleichterung wird bereits beim Checkin in Frankfurt sichtbar. Economy-Warteschlange: 100m lang, Saga-Class: vier Leute vor uns. Zwanzig Minuten nach unserem Eintreffen im Parkhaus sind wir bereits durch die Security durch und suchen unseren Weg zur KLM-Lounge, um vor dem Abflug noch einen kleinen Snack zu essen.

Der Mittagsumlauf nach Keflavík wird von Icelandair mit einer recht betagten Boeing 757-200 durchgeführt, die sich innen aber in einem top Zustand befindet. Bequeme Sitze mit ordentlich Beinfreiheit und ein erstklassiger Bordservice lassen den ruhigen Flug auf Angenehmste vergehen. Dreieinhalb Stunden später heißt es „Touchdown in BIKF“. In Keflavik treffen wir an der Gepäckabholung auf Micha, der von Berlin kam und wenige Minuten vor uns gelandet ist. Während ich auf das Erscheinen unserer Koffer warte, machen sich mein Kumpel und Herr Lofi gleich einmal auf den Weg in den Duty-Free-Shop, um ein paar hopfenhaltige Kaltgetränke für die ersten Tage zu kaufen. Nach weiteren dreißig Minuten Warten haben wir unser Geraffel beisammen. Hat doch etwas länger gedauert als gedacht. Der Flughafen arbeitet bereits seit Jahren an der Kapazitätsgrenze, und 2022 wird zu allem Überfluß auch noch großräumig am Haupt-Terminal herumgebaut.

Eine Stunde später haben wir unseren Mietwagen übergeben bekommen, wieder ein neuer und auf „Arctic Edition“ aufgepimpter Toyota Landcruiser. Mit Schnorchel und mit 30cm mehr Bodenfreiheit gegenüber der OEM-Version. Das reicht laut meiner eingehenden Vorab-Recherche für drei Viertel der Hochland-Tracks und für alle die, die wir im letzten Jahr verpaßt haben, sowieso. Aber zunächst einmal müssen wir noch Essensvorräte für eine Woche kaufen, was dank einiger 24/7 geöffneter Supermärkte in Reykjavík kein Problem ist. Lediglich die Beschaffung einer Gaskartusche stellt ein kleines Hindernis dar, weil diese Spezialartikel nicht an jeder Tankstelle vorrätig sind. Und so müssen wir einen Umweg von 60 km fahren, bis wir endlich eine passende kleine Gasflasche erwerben können.

Gegen 22 Uhr erreichen wir unser Haus mit dem etwas sperrigen Namen Fögruvallakót. Dieses haben wir nach der guten Erfahrung aus dem letzten Jahr wieder gemietet. Für drei Personen ist es ideal, denn jeder bekommt sein eigenes kleines Zimmer. Großer Vorteil dieser Unterkunft: bis zum Abzweig der “Fjallabak-Autobahn” F225 Landmannaleið sind es nur 20 Minuten Fahrt, und ab da ist man ruck-zuck mitten im südlichen Hochland. Perfekte Lage also, die die kleinen Schwächen der mittlerweile etwas in die Jahre gekommenen Bude mehr als wett macht. Heute abend werden Vorräte eingelagert, das Foto-Equipment klargemacht und die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände im Auto verstaut. Die kleine Bank vor unserem Haus dient als Getränke-Kühlschrank, denn in den nächsten Tagen eignet sich selbst die zu erwartende Höchsttemperatur immer noch ideal zur Lagerung von Bier. Aber das Wichtigste: es soll erst einmal trocken bleiben. Hoffen wir mal…

Montag, 29. August – Fjallabak, Mælifellssandur, Þorsmörk

Oha! Wenn ich durch Sonnenstrahlen geweckt werde, will das was heißen auf Island. Der Himmelskörper mit Z (auf pfälzisch „Zunn“) hat sich gerade hinter der Hekla, unserem Hausvulkan hervorgearbeitet und strahlt die Ebene davor in warmem Licht an. Heute gibt es zum Frühstück Rührei und Toast sowie Michas Island-Spezial-Flatbread mit Schinken und Käse. Nebenbei checke ich kurz den Wetterbericht: Trocken heißt nicht zwangsläufig Sonnenschein. Wenn wir also etwas Blau am Himmel sehen wollen, müssen wir ein ganzes Stück nach Osten bzw. Südosten ausweichen. Was läge da näher, als auf der F210 von Westen rein ins Hochland zu gondeln? Die Route ist über weite Abschnitte einfach zu fahren, nur im letzten Drittel warten einige Furten auf uns, davon die tiefste kurz vor dem Ende des Tracks. 

Kurz hinter dem historischen Kelður-Hof beginnt die unbefestigte Fjallabaksleið sydri, der nördliche Teil unserer heutigen Route – wie ja der Name bereits andeutet. Und keine zehn Minuten später geht die Landschaft mit einem Schlag in die fürs Hochland typische Mixtur über: ein buntes Gemisch aus verschiedenen Lavaformen, zahllosen Vulkankratern jeglicher Couleur und zwischendurch von geschickter Hand platzierten Moosfeldern mit weiteren pflanzlichen Einsprengseln. Auf diesem Abschnitt der Strecke passiert motivtechnisch nicht allzu viel. Nach ungefähr 30 Kilometern verengt sich das lange Tal, durch das wir bislang gefahren sind, und wir erreichen den westlichen Teil des Fjallabak. Die Strecke steigt kontinuierlich an und führt zwischen einigen höheren Bergen hindurch. Am See Laufavatn halten wir für einen Drohnenstart an, denn in seiner Mitte ragt eine winzige Felsinsel hervor, die ich gerne genau von oben auf einem Foto hätte. Leider machen die starken Böen meinem Fluggerät ordentlich zu schaffen. Ich bekomme es einfach nicht in die richtige Position, bevor der Akku alle ist.

Wenige Kilometer weiter südlich muß man ein kleines Stück im Fluß fahren, statt wie sonst nur vom einen zum anderen Ufer. Am Startpunkt dieses Teilstücks steht ein Dacia Duster mit einem leicht überfordert wirkenden älteren spanischen Ehepaar, gekleidet wie zum Bummeln auf der Einkaufsmeile in Barcelona. Ob die wissen, worauf sie sich eingelassen haben? Offensichtlich nicht. Denn kaum haben wir kurz für die obligatorische Gewässer-Inspektion gehalten, klopft es an unser Seitenfenster, und der Opa fragt in passablem Englisch, ob wir ihnen beim Furten behilflich sein könnten. Machen wir doch gerne! Unsere temporären Reisebegleiter fahren uns vorsichtig hinterher, und nach ein paar hundert Metern ist dieser Abschnitt des Weges geschafft. Allerdings wartet die nächste Furtengruppe bereits hinter der folgenden Hügelkuppe, und die hat es wirklich in sich. Nicht nur sind die zu überwindenden Flüsse Ljósá und Markarfljót deutlich lebhafter, sondern man muß mit einer Art Inselhopping ihre einzelnen Arme nacheinander überwinden. Hinweise zur bestmöglichen Passage finden wir weder in Schildform am Ufer noch in unserem Tourenbuch. Das Wasser ist zudem schwer zu lesen, weil neben den Strömungswellen noch der Wind die Oberfläche aufrauht und eine Inspektion des Flußbetts nahezu unmöglich macht. Wir entscheiden uns für einen Blindflug, denn mit unserem Auto sollte das eigentlich kein Problem sein. Und wenn diese Furten so furchtbar gefährlich wären, dann hätte ich da bei meinen Recherchen sicher schon von gelesen. Auf der anderen Seite der Markarfljót hat man überall einen schönen Rundblick. Im Norden erheben sich die bunten Berge von Landmannalaugar, während in der gegenüberliegenden Himmelsrichtung sämtliche Gebirge fast ausschließlich in verschiedenen Grüntönen schimmern. 

Die Strecke windet sich in den Höhenzug namens Alftáskarð hinein. Nach dem Scheitelpunkt dieses Streckenabschnitts werden wir mit einem herrlichen Weitblick in Richtung Myrdalsjökull belohnt. Auch der See Alftávatn macht bei diesem bewölkten Wetter ordentlich was her. An seinem Ufer befindet sich eine relativ große Schutzhütte für Wanderer, von denen wir auch reichlich umherlaufen sehen. Mal kurz recherchiert: Aha, wir haben soeben den Fernwanderweg Laugarvegur gekreuzt, welcher über 52 Kilometer von Þorsmörk nach Landmannalaugar führt. Zwanzig Minuten später und drei Furten weiter südlich stehen wir vor der ersten ernsthaften Flußquerung des heutigen Tages. Die Kaldaklofskvísl erwartet von ihren Gegnern zumindest 50-70cm Wattiefe, was mit dem normalen Landcruiser so eben am Limit gewesen wäre. Mit unserer aufgebockten Variante sehen wir uns gut gerüstet, beraten aber dennoch auf einem Felsen mit guter Übersicht die beste Passage. Micha bringt sich mit Kamera und Teleobjektiv derweil schon auf der einspurigen Fußgängerbrücke etwas weiter flußaufwärts in eine gute Schußposition, denn er will das Furten hier dokumentieren. Wir kommen gut durch das milchig-trübe Wasser, der Untergrund ist zum Glück relativ fest und halbwegs eben, wenn auch etwas felsig. 

Weiter geht es auf einer der von mir sehnlichst erwarteten Routen: die F210 Fjallabaksleið sydri, die in ihrem späteren Verlauf direkt am Fuß des grünen Vulkans Mælifell vorbei führt. Heute dürfte es mit dem Fotografieren etwas schwierig werden. Die Wolkendecke hat sich auf 6/8 verdichtet, und auch der Wind weht mittlerweile in Orkanstärke. Bis zum grünen neuen Schicksalsberg sind es etwa dreißig Kilometer zu fahren, und nach zwei Dritteln der Strecke – gerade als wir relativ dicht an der Nordflanke des Myrdalsjökull entlang kommen – schläft der Wind ein. Dafür geraten wir in immer dichteren Nebel. Leider bekommen wir von der Landschaft um uns herum kaum etwas mit. Wir geben uns noch ein paar Kilometer auf der nach Süden führenden Öldufellsleið, und drehen an der pittoresken Furt über den Fluß Bláfjallakvísl, die sich unmittelbar oberhalb eines Wasserfalls befindet, wieder um. 

Am späten Nachmittag sind wir wieder zurück an der Kaldaklofskvísl, wo wir auf die Emstrurleið, den westlichen Abschnitt der F261 abbiegen. Die einzige Furt auf der Route könnte eventuell gleich ein Hindernis darstellen. Eine Tiefe von mindestens 70cm, starke Strömung, trübes Wasser, felsiger Untergrund und eine tiefe Kuhle in der Flußmitte mahnen zur Vorsicht. Glücklicherweise fahren seit dem letzten Abzweig zwei große SUVs unseres Kalibers direkt vor uns. Bei denen können wir uns jetzt die optimale Querung abgucken. Während wir gemächlich gen þorsmörk tuckern, kommt die Sonne hier und da zum Vorschein. Wäre da nicht immer wieder dieser tolle Blick auf die Nordseite des Myrdalsjökull, die Gegend käme mir ein bißchen langweilig vor. Als wir den Markarfljót-Canyon durchqueren, kommt Abwechslung ins Spiel. Hinter der Holzbrücke über das namensgebende Gewässer fällt mir als Beifahrer und Navigator rechts des Weges der Abzweig zur Hungurfit-Strecke auf, einem der spektakulärsten und zugleich anspruchsvollsten Tracks durch ein wirklich zerklüftetes enges Flußtal. Die Einfahrt liegt nur zwei Kilometer entfernt, die würde ich gerne sehen und ein Gefühl dafür bekommen, ob wir das mit unserem Landcruiser eventuell bei der nächsten Reise in Angriff nehmen könnten. Sehr launig, diese ersten paar hundert Meter, aber auch nicht viel Platz zum Wenden. Kurze Zeit später sind wir wieder am Startpunkt angelangt und halten am nächstmöglichen Parkplatz.

Hier beginnt ein besonders schöner Teil des Laugarvegur, der oberhalb der Kante des Markarfljót-Canyons entlang führt und dementsprechend spektakuläre Aussichten in das Flußtal bietet. Holla, hier geht’s aber steil nach unten! Sofort fällt uns das auf den Färöern zum immateriellen Kulturerbe avancierte Zitat des dänischen Fotografen Mads Peter Iversen ein: „If you fall off the cliff, you probably die.“ Heute jedoch ohne die Relativierung „wahrscheinlich“. Der Wind fegt hier dermaßen heftig durch das Flußtal, daß ein Wasserfall, der eigentlich in die Markarfljót münden sollte, gar nicht unten ankommt, weil das ganze Naß nach oben gepustet wird. So was habe ich auch noch nicht in dieser Dimension gesehen. Weiter geht die Reise, und kurze Zeit später erreichen wir vertrautes Terrain, denn wir haben den letzten Berg vor dem Abstieg Richtung Þorsmörk passiert und beginnen unseren Descent hinunter ins Tröllagjá-Tal. Vor uns liegt nun der Berg Einhyrningur, hier ist ein weiterer Fotohalt fällig. Mittlerweile haben wir Hunger bekommen.

Auch ein Blick auf die Uhr sagt uns: Zeit fürs Abendessen. Lunch ist irgendwie komplett ausgefallen, da haben uns eine Handvoll Ballerina-Kekse über die Zeit gerettet. Jetzt etwas Herzhaftes, das wäre gut. Wir rasten an einer Farm unterhalb des Einhornberges, die dankenswerter Weise in ihrem Anbau so eine Art Schutzraum mit fließend Wasser beherbergt. Sonne scheint wieder, also essen wir lieber draußen an der frischen Luft, aber Geschirr können wir hier später abwaschen. Nur noch ein paar Kilometer Geboller, dann haben wir die unbefestigte Strecke für heute hinter uns. Zwischen unserer Position und der Ringstraße wird schon ordentlich Sand aufgewirbelt, und auch die Wolken nehmen seltsame Formen an, da wird uns wohl bald ein Sturm ins Haus stehen. In der Abenddämmerung erreichen wir wieder unsere Blechhütte, speisen noch eine Kleinigkeit, reinigen sehr gründlich die Kameras und machen es uns anschließend noch mit ein paar lecker Bierchen aus dem Open-Air-Kühlschrank gemütlich. So endet der erste Reisetag.

Dienstag, 30. August – Veiðivötn

Heute soll es in der ersten Tageshälfte wieder weithin trocken bleiben, allerdings weht der Wind mit Stärke 9, also schon ganz ordentlich. Ergo entscheiden wir uns nach dem Wetterbriefing beim Frühstück, in das Gebiet zu fahren, wo vielleicht später die wenigsten Wolken herum hängen werden. Aber erst einmal hat sich mein Freund Micha einen Besuch “seiner” Hekla gewünscht – wo wir doch schon so nah dran wohnen. Also schnell Geschirr spülen, Klamotten ins Auto packen und wieder los Richtung F225. Ein paar Kilometer nach deren Beginn zweigt eine ziemlich dürftig ausgeschilderte Route nach rechts ab. Wir arbeiten uns im Slalom durch weite Felder von Vulkanauswurf durch, vorbei an mehreren kleinen Schloten, immer mit der alles überragenden Hekla im Blick. Da es an den vergangenen Tagen recht trocken war, wirbelt der stürmische Wind heute ordentlich Sand und Asche auf. Am Horizont, über dem jetzt gerade kurz die Sonne zu sehen ist, gibt das natürlich beeindruckende Staubfahnen. 

An der Weggabelung, wo das letzte Teilstück hoch zum Hekla-Sattel abzweigt, steige ich probehalber kurz mit der Kamera aus dem Auto – kannste vergessen! Fotos machen funktioniert, wenn überhaupt nur im Windschatten des Fahrzeugs, und selbst hier unten zerrt der Sturm ganz schön an einem und pustet einem sofort feinen Schleifstaub ins Gesicht. Ein paarmal einatmen, dann knirscht es bereits im Mund, und als ich nach zwei Minuten den Objektivdeckel wieder anbringen will, hat sich an der Kamera feine Vulkanasche abgelagert. Wir checken kurz das Wetter. Aha, feiner Nieselregen kommt bald, da fahren wir lieber ein Stück weiter nach Nordosten, ins Seengebiet Veiðivötn. 

Extra für unseren Mitfahrer Lofi durchfahren wir die halbmondförmige Furt über die Fossvatnakvísl sogar zweimal, damit er auch ein fetziges Bild von sich am Steuer und mitten im Wasser abkriegt. Auf dem großen Kraterrand oberhalb des Tjaldvatn, des ersten Sees im Veiðivötn-Gebiet, versuchen wir ein paar Fotos zu knipsen. Etwa fünf Kilometer weiter haben wir die höchste Stelle dieser Nebenstrecke erreicht und schauen nun hinunter ins Tal, wo der Fluß Tungnaá in epischer Breite durch das Fjallabak mäandert. Über dieser Szenerie wacht eine große natürliche Steinsäule, deren Name Tröllið bereits ahnen läßt, wohin hier die Reise in der isländischen Deutung dieses Felsgebildes gehen könnte. Micha und Lofi fahren mit dem Toyota ein paar hundert Meter die Piste hinab, um in dem Foto, das ich mir hier oben überlegt habe, als Dimensionsgeber zu fungieren. Aufgrund des starken Windes muß ich mich in den Sand legen, um ein halbwegs unverwackeltes Bild aufnehmen zu können. Wir drehen um und fahren die Piste entlang der Ostseite von Veiðivötn. 

An der breiten Furt über die Snjóölduvatnakvísl ist das Wasser gerade mal 30 Zentimeter tief. Wie sehr doch der erste Eindruck täuschen kann! Es geht nun etwa eine halbe Stunde lang auf und ab durch schwarzen Vulkansand mit gelegentlichen Moos-Einsprengseln. Hin und wieder durchziehen tiefe Gräben die Piste. Hier muß man höllisch aufpassen, denn die sind kaum zu sehen. Wenn wir hier zu schnell durchfahren, riskieren wir einen Achsbruch – und den können wir heute in dieser verlassenen Gegend und bei dem Sauwetter nun gar nicht gebrauchen. Am Austurbjallavötn endet die Piste, hier fließt die Tungnaá in einem weiten Bogen um uns herum. Auf dem Weg hierher habe ich an einer Abzweigung diverse Stromleitungen oberhalb des Flusses erspäht. Da fahren wir mal hin. Ein kurzer Anstieg nach ca. drei Kilometern, dann stehen wir an einer der schönsten Ecken, die ich je in Island gesehen habe. Wow, das muß ich erst mal auf mich einwirken lassen! 

Zu unserem Füßen schlängelt sich die Tungnaá zwischen den Vulkankegeln und moosbewachsenen Hügeln hindurch. Allerdings ist sie hier mehrere hundert Meter breit und dementsprechend beeindruckend. Am Horizont – da wo laut unserer Karte das Wandergebiet Landmannalaugar liegen sollte – erkennt man im helleren Grau die fahle Scheibe der Sonne, die es leider nicht ganz durch die geschlossene Wolkendecke schafft. Hier kommen wir in jedem Fall bei besserem Wetter nochmal her. Auf der Rückfahrt folgen wir hinter Veiðivötn noch ein paar Kilometer der Route nach Jökulheimar, stellen aber relativ bald fest, daß das Wetter hier noch trüber wird. Deshalb drehen wir auf Höhe des Hraunvötn wieder um und fahren heim. Als wir bei unserer Hütte ankommen und die nassen Klamotten drinnen zum Trocknen aufgehängt haben, reißt wie auf Bestellung der Himmel auf und läßt die untergehende Sonne herrliche Farben auf die Landschaft projizieren. Dazu brutzeln ein paar Lammkeulen auf dem Grill, wir drei stehen mit ‘ner Dose Bier ums moderne Lagerfeuer herum – was will man mehr zum Tagesausklang?

Mittwoch, 31. August – Sprengisandur

Ich werde von Regentropfen geweckt, die auf die Blechverkleidung unserer Hütte pladdern. Nicht ideal für Fotoausflüge, würde ich mal sagen. Ein ausführliches Wetterbriefing folgt beim Frühstück. Hier unten im südwestlichen Hochland erwarten wir graue Suppe und Regen den ganzen Tag. Wenn wir der Waschküche entfliehen wollen, müssen wir ein gehöriges Stück Richtung Landesinneres vorankommen. Immerhin trifft sich das ganz gut mit Michas Absichten, den Sprengisandur abzufahren – also jene zentrale Nord-Süd-Verbindung, die uns wegen des Wintereinbruchs im vergangenen September und der damit verbundenen Sperrung aller Hochlandpisten entgangen war. Lebensmittelvorräte für zwei Tage werden neben dem üblichen Fotokram im Auto verstaut, an der letzten Zapfsäule vor der Hochlandpassage in Hrauneyjar noch mal komplett voll getankt, dann geht es auf die noch unbekannte Strecke. Ein konkretes Endziel haben wir nicht, erst mal wollen wir schauen, daß wir dem trüben Regenwetter entkommen.

Erstaunlich, wie heute Landschaft und Himmel farblich harmonieren! Grau in allen Schattierungen herrscht überall entlang des Weges vor. Kleine bunte Eyecatcher sind hier und da in die Szenerie eingestreut. Mal ist es ein türkisfarbener See, mal ein Straßenschild, ein paar Moose und Flechten oder sogar das ein oder andere Pflänzchen mit bunten Blättern. Abgesehen davon bietet die Route Null Abwechslung. Nach dreißig Kilometern stehen wir vor der Wahl: weiterhin der „Autobahn“ F26 folgen oder doch der vielleicht etwas weniger eintönigen historischen Sprengisandur-Route, die zu Zeiten benutzt wurde, als man noch zu Pferde das Hochland in mehreren Tagesetappen durchqueren mußte. Nehmen wir mal diese Variante. Und tatsächlich wird das ansonsten sehr monotone Grau hier öfter von kleinen Seen und Wasserläufen durchbrochen. Erstaunlicherweise gibt es auch in dieser gottverlassenen Gegend fast durchgehend 4G-Empfang. Das hatten wir so nicht erwartet. Ebenfalls unverhofft stellt sich uns nach weiteren 30 Kilometern ein Sackgassen-Schild in bzw. an den Weg. Darunter hängt eine hand­ge­schrie­bene Zusatz­tafel mit der eindringlichen Warnung, daß die später zu durch­querende Furt an der Þjorsá wegen Abbrüchen am Ufer und sehr gefährlicher Strömung nicht passierbar sei. Wir vertreten uns ein paar Minuten die Beine und werfen einen aufmerksamen Rundblick in die Landschaft. Und siehe, etwas weiter vorne zweigt ein unauffällig markierter Track in Richtung Nordosten ab, der uns mit etwas Glück zur Hauptroute der F26 führen sollte. Eine Dreiviertelstunde später haben wir den Sprengisandsleið wieder erreicht und bewegen uns weiter nach Norden.

Dreißig Kilometer lang passiert rein gar nichts. Aber irgendwann können wir auf zwei Uhr in einiger Entfernung den Tungnafellsjökull ausmachen. Folglich ist es auch nicht mehr allzu weit bis zur Nýidalur-Schutzhütte. Diese markiert nicht nur die Halbdistanz der 240 km langen Hochlandquerung auf der F26, sondern ist zufällig auch fast genau der geographische Mittelpunkt Islands. Wie gemacht für eine Mittagspause, zumal vor einiger Zeit die Wolken aufgerissen und der Sonne gewichen sind. Während ich hinter einem der größeren Gebäude eine einigermaßen windgeschützte Stelle für den Aufbau des Gaskochers suche, schauen sich Lofi und Micha das Areal an und stoßen auf eine Gruppe Motorradfahrer, die im Rahmen einer organisierten Tour das Hochland gleich auf mehreren Routen durchqueren. Heute natürlich bei dem Orkan sehr unangenehm. Beim Abwasch trifft uns die Kraft des Sturms mit voller Wucht. Wasser, das wir verschütten, erreicht nicht einmal den Boden, sondern wird direkt im 90-Grad-Winkel seitlich zerstäubt. Moment einmal, da mache ich doch gleich einen Wettercheck. Oh ja! 35 m/s Windgeschwindigkeit entspricht also etwa 120 km/h. Also packen wir zusammen. Weiter im Norden hat sich gerade ein schöner Regenbogen gebildet, dem folgen wir mal. 

Zehn Kilometer weiter haben wir jedoch den Endpunkt unserer heutigen Fahrt erreicht, denn wir stehen vor der etwas unübersichtlichen und recht breiten Furt über den Fluß Hagakvísl, die laut unserem Tourenbuch einige tiefe und von spitzen Felsen gespickte Rinnen in der Mitte haben soll. Hier kehren wir um, denn mittlerweile sind wir mit Pausen fast sechs Stunden unterwegs, und wir müssen die ganze Strecke ja auch noch wieder zurück. Die Motorrad-Reisegruppe hat mittlerweile auch ihre Zelte in Nýidalur abgebrochen und quält sich gerade durch die langgezogene Furt über die Fjörðungakvísl. Jetzt kommt zum strammen Wind auch noch Regen dazu, da sind wir doch sehr froh über unser bequemes warmes Auto. Und einen Vorteil hat das Wetter für uns auch: an Fotos ist nicht zu denken, da machen wir wenigstens ordentlich Strecke. Und nach etwas über drei Stunden Fahrt sehen wir in der Ferne die ersten Seen auftauchen, die die nördliche Begrenzung unserer „Heimatregion“ bilden.

Um die stellenweise etwas eintönige Fahrt etwas aufzulockern, wirft unser Infotainment-Beauftragter Christian aus der zweiten Sitzreihe immer mal wieder ein paar im Internet recherchierte Wissens-Häppchen in die Runde. So erfahren wir zum Beispiel, daß Island und Nordkorea einige Gemeinsamkeiten aufweisen, zumindest in geographischer Hinsicht – also Größe, Anteil der Bevölkerung in Städten und noch ein paar mehr, die mir jetzt leider gerade entfallen sind. Die von Micha und mir aus dieser Bildungsoffensive destillierte Zusammen­fassung lautet: „Island – praktisch das Nordkorea Europas“. Kann man so stehen lassen. Eine Stunde vor Sonnen­untergang bzw. vor der Abdunklung des Grau­verlaufs am Himmel erreichen wir wieder unser Dorf. In der Hütte gibt’s als Abend­essen heute nur leichte Kost, denn viele Kalorien haben wir ja über den Tag hinweg nicht verbraucht. Bilder werden zusammen­kopiert und bei ein paar Bier bewertet. Wieder geht ein Reisetag zu Ende.

Donnerstag, 1. September – Hekla, Krakatindur, Landmannalaugar

In der Nacht hat der Regen aufgehört. Sogar über der Hekla reißt der Himmel immer mal wieder auf – das Signal für Micha, der sich schon lange einen Abstecher rauf zu unserem Hausvulkan gewünscht hat. Wo wir vorgestern noch wegen der gewaltigen Staubwirbel umkehren mußten, hat der Regen den Vulkansand schwer werden lassen – das bleibt heute alles schön liegen. Wir verlassen die Fjallabak-Autobahn F225 bei der erstbesten Gelegenheit und folgen einer wenig befahrenen und schwer erkennbaren Nebenstrecke zur Hekla-Auffahrt. Oberhalb des Kraters Rauðaskál zweigt die eigentliche Piste zum nördlichen Sattel des Vulkans ab, und hier nimmt die Steigung extrem zu. Eine halbe Stunde später stehen wir am Ende der befahrbaren Strecke. Wenn wir wirklich noch weiter bis zum Gipfel wollten, müßten wir 2,5 km zu Fuß steil bergan laufen. Michael will sein Glück versuchen und folgt dem Wanderpfad ein Stück weit nach oben, muß aber angesichts der starken Hangneigung und der extremen Rutschgefahr seinen nicht ganz ernst gemeinten Aufstiegsversuch abbrechen. Nach einer Stunde begeben wir uns wieder auf den Weg nach unten. 

Der Vulkankrater Rauðaskál lädt heute zu einem Fotohalt ein. Weil Michas Herzenswunsch nach der Besteigung des Hekla-Gipfels leider unerfüllbar blieb, tun wir ihm wenigstens den Gefallen und fahren im östlichen Hinterland dieses mächtigen Vulkans spazieren. Der folgende Streckenabschnitt zum nächsten Ziel Krakatindur ist eine felsige Buckelpiste unterster Schublade. Großzügige Bodenfreiheit ist absolute Pflicht beim Auto! Wann immer uns das Gerüttel zu sehr nervt, halten wir kurz an, steigen aus dem Wagen aus und lassen die Drohne fliegen, denn aus der Vogelperspektive sieht die Gegend schon toll aus. Am Krakatindur schlagen Christian und Micha ihr Basislager am Fuß des Vulkans auf, während ich dem Verlauf der „Straße“ bis auf den nächsten Hügel folge, um den Berg aus einiger Entfernung mit einer normalen Brennweite aufnehmen zu können. 

Nach einem kleinen Snack setzen wir unsere Fahrt in Richtung Landmannalaugar fort. Einige Fotohalte später erreichen wir die Vulkanlandschaft am Tjörvafell mit ihren großen Kraterseen Hnausapollur, Ljótipollur und Frostastaðavatn, die wir natürlich aus allen erdenklichen Perspektiven ablichten müssen. Hier kann die Drohne ihre Stärke ausspielen. Hinter dem Frostastaðavatn wurde direkt an der Straße ein neuer Parkplatz angelegt und daneben ein Wegweiser „Stutur Volcano Walking Path“. Nur zehn Minuten dauert der Aufstieg zu diesem kleinen Vulkan, dessen Caldera-Durchmesser nicht einmal fünfzig Meter beträgt. Aber aus der Top-Down-Drohnenperspektive kann man die Dimension kaum abschätzen. Die Farben am Berg sind phantastisch. Nur wenige Kilometer trennen uns vom Campingplatz in Landmannalaugar, und ich stelle erfreut fest, daß die Zufahrtsstraße dorthin im Vergleich zum Vorjahr erheblich verbessert wurde. Schon bald darauf können wir in der Nachmittagssonne Kaffee und Sandwiches genießen. 

Weil die Sonne noch einigermaßen hoch am Himmel steht, nehmen wir heute für unsere Rückfahrt die bollerige Hauptroute F208 entlang der Tungnaá. Vorgestern standen wir in dieser Ecke auf der anderen Seite des mächtigen Flusses, heute ergeben sich vielleicht noch einige Fotomöglichkeiten an seinem westlichen Ufer. Ganz so leicht ist es nicht, dieses zu erreichen, denn die wenigen schlecht erkennbaren Tracks verlieren sich immer wieder im dunklen Sand oder zwischen flachen Felsen. Wir tasten uns behutsam voran, bis schließlich etwa 500 Meter Luftlinie vor dem großen Tungnaá-Wasserfall kein Weiterkommen mehr möglich ist. Aber ich habe ja noch fast 15 Minuten Flugzeit auf meinem Drohnenakku. Kurz vor der Zwangsrückkehr meiner Mavic gelingt mir dann sogar ein brauchbares Panorama, und wir können die Heimfahrt antreten. 

Die Sonne scheint immer noch, als wir wieder an unserer Hütte eintreffen. Heute gibt’s zum Abendessen wieder mal Gegrilltes, schließlich haben wir uns tagsüber nur mit kleinen Snacks und Ballerina-Keksen über Wasser gehalten. Dazu ein paar kühle Bierchen – so läßt sich’s leben! Allerdings kann ich erstmal noch nix trinken, denn wir haben eben festgestellt, daß Milch, Brot und Obst alle gegangen sind. Ich habe daraufhin angeboten, nochmal ins 60 km entfernte Selfoss zu fahren, wo es den nächstgelegenen Supermarkt gibt, der um diese Uhrzeit noch auf hat. Dank einer guten Musikauswahl im Programm von RÁS2 vergeht die Fahrt recht schnell, und es landen einige Neuzugänge auf meiner Island-Playlist. Kurz vor 23 Uhr bin ich wieder daheim und kann mir jetzt endlich auch das eine oder andere Feierabend-Bier gönnen. Na dann, Prost!

Freitag, 2. September –  Jökulheimar, Veiðivötn

Heute soll es noch einmal auf der Jökulheimarleið zu dem Ort gehen, den ich als Location für „Oblivion“, einen meiner liebsten Science-Fiction-Movies ausgemacht habe. Vor allem will ich auf den Hraunafell steigen, der als Kulisse für das versunkene Empire State Building diente. Oben angekommen, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, wo das Set aufgebaut gewesen sein könnte. Also werde ich einfach an allen in Frage kommenden Felsplateaus jeweils ein Panorama aufnehmen und dann später mit dem Film vergleichen, welche Stelle am ehesten paßt. Wenn ich mir überlege, wie schlecht das Wetter im letzten September in dieser Gegend war, bin ich heute umso mehr überwältigt von den herrlichen Ausblicken in diese einzigartige Landschaft. Am Horizont erkennt man sogar die westlichen Ausläufer des Vatnajökull. 

Und weil ich weiß, daß man Micha mit Abstechern zu Gletschern immer kriegt, schlage ich die Hüttenanlage von Jökulheimar als Zwischenziel und Location fürs Mittagessen vor. Unterwegs stoßen wir links der Piste auf einen nicht in meiner Karte verzeichneten, aber auffällig gut markierten Track durch eine weite sandige Ebene, an deren Ende ein gelber Berg zu erkennen ist. Das lassen wir uns nicht entgehen und biegen dorthin ab. Für etwa 10 Kilometer folgen wir der Strecke, die sich aber irgendwann in einem schier endlosen Lavafeld zu verlieren scheint. Der Wind ist hier grenzwertig für einen Drohnenstart, ich versuche es dennoch. Aus der Vogelperspektive sehe ich aber auch, daß sich eine Wanderung in dieser Gegend nicht lohnt, denn da gibt es einfach nichts Interessantes drum herum in der Landschaft zu entdecken. 

Eine gute halbe Stunde später befinden wir uns auf dem Rückweg zur Hauptroute Richtung Jökulheimar. Nach nur einem weiteren Fotostop erreichen wir zur Mittagszeit die Hüttensiedlung, die wir aber zunächst links liegen lassen. Versuchen wir lieber unser Glück auf der ab hier deutlich schlechteren Wegstrecke zum Rand des Gletschers. Am Ende der Route müßte man die Tungnaá furten, und mit der ist nicht zu spaßen. Irgendwann endet hier der markierte Track, nur noch vereinzelte alte Reifenspuren erkennt man am überall abgebrochenen sandigen Ufer. Aber nirgends kann ich eine für unser Auto passierbare Stelle erkennen. Kurze Lagebesprechung: wir drehen um, schließlich sind mögliche Hilfsfahrzeuge nicht in Sicht, und Handyempfang ist natürlich auch seit Ewigkeiten gleich Null. Unser derzeitiger Location-Spotter Lofi meinte jedoch eben, eine vielversprechende Stelle für Fotos entdeckt zu haben. Nach einer knappen halben Stunde haben wir dank engagierter Dreifach-Beteiligung alle in Frage kommenden Motive abgelichtet und brechen auf zur Location fürs Mittagessen. 

Der Kocher bullert vor sich hin, die gefüllte Hähnchenbrust wird sicher einige Minuten brauchen, bis sie richtig warm ist. Also schließe ich kurz die Augen und genieße die Mittagssonne. Nach dem Essen legen wir uns alle noch für eine Runde Siesta ins Gras neben einem Geräteschuppen, der einen prima Windschutz abgibt. Lofi nutzt die Gelegenheit gleich noch für einige Drohnenfotos, und schon heißt es wieder: Aufbruch. Es geht ohne Halt bis zum See Hraunvötn, an dessen Südspitze eine Nebenstrecke Richtung Veiðivötn abzweigt. Selten habe ich so eine abwechslungsreiche Route befahren. Hinter jeder Biegung sieht die Landschaft anders aus. Immer karg, aber auf eine sehr unterschiedliche Art und Weise. Für die zwanzig Kilometer bis zum südwestlichen Ende des Rundkurses um das kleine isländische Pendant zur Mecklenburger Seenplatte brauchen wir fast drei Stunden. Aber bei Sonnenschein sieht eben alles nochmal so schön aus wie bei schlechtem Wetter. Muß man zum Fotografieren nutzen! 

Gegen halb sechs abends stehen wir vor der Wahl: hier einfach schon umkehren oder noch ein paar Kilometer weiter zu jenen Stellen fahren, wo wir noch vor einigen Tagen vorrangig Stromleitungen im Nebel fotografiert hatten? Klares Votum für eine neuerliche Tour zum Ostufer der Tungnaá. Die Abendsonne taucht die Landschaft in warmes Licht, der Wind hat sich gelegt, so daß wir sogar unsere Drohnen fliegen lassen können. Und aus diesen Einsätzen entstehen später wundervolle Panoramen von atemberaubenden Landschaften, die man so nur auf Island findet. In der Dämmerung fahren wir nach Hause und schmeißen dort nochmal den Grill an, um die letzten Vorräte zu verbrauchen.

Und plötzlich werden wir mit dem Phänomen „Second Sunset“ konfrontiert, wenn nämlich die bereits untergegangene Sonne die Wolken diesmal von unten anstrahlt und für unglaublich intensive Farben am Abendhimmel sorgt. Lofi und Micha rennen mit ihren Kameras durch die Gegend, während ich derweil auf die Lammkoteletts aufpassen sollte, damit wir gleich keine Kohle essen müssen. Beim Abendessen kommt doch leichte Wehmut auf, denn übermorgen ist unsere Reise leider schon wieder zu Ende. Aber wir nehmen uns vor, den letzten Tag so gut wie möglich auszunutzen. Darauf trinken wir doch gleich noch ein Bier. Und schon steigt die Laune wieder. Skål!

Samstag, 3. September –  Mælifell, Öldufell, Laki-Spalte

Weil der Wind heute bis zum Nachmittag aus nördlicher Richtung weht, sollte es im gesamten südlichen Hochland und entlang der Küste Bombenwetter geben. Deshalb werden wir unser Glück noch einmal am Maelifell versuchen und danach eine von Micha favorisierte Location ansteuern: die Laki-Spalte, wo auf der letztjährigen Tour die Zufahrt bereits gesperrt war. Nach den ersten zwei Stunden der Reise entlang der Ringstraße wird am Abzweig der F232 Öldufellsleið der Fahrer ausgetauscht. Lofi sitzt ab jetzt am Steuer und gibt alles, um die dreißig km lange Strecke bis zum Primärziel in Rekordzeit hinter uns zu bringen. Immerhin führt die Route relativ nah an der Ostflanke des Myrdalsjökull vorbei, und nur von hier hat man einen freien Blick zu dem Vulkan, um den sich die meisten isländischen Legenden ranken. Katla heißt er und liegt verborgen unter dem Eis des mächtigen Gletschers. Seine Eruptionen in der jüngeren Vergangenheit hatten immer die verheerendsten Folgen, nur noch getoppt von Hekla und eben der Laki-Spalte. Nach einigen kurzen Halten an verschiedenen Stellen haben wir wohl alle sinnvollen Perspektiven abgearbeitet und können die Fahrt fortsetzen. 

Die nächsten Kilometer geht es etwas langsamer voran, weil wir wieder einmal eine Region passieren, deren Name auf „-hraun“ endet. Das sind immer die buckligsten Strecken, denn hier geht’s direkt durch erkaltete Lavaströme, wo das Gestein besonders zerklüftet und scharfkantig ist. Eine Stunde nach der Abfahrt von der Ringstraße erreichen wir die Furt über die Bláfjallakvísl. Sie ist einzigartig in Island, weil man den Fluß direkt oberhalb eines Wasserfall quert, was ein tolles Fotomotiv abgibt. Aber das heben wir uns für den Rückweg auf. Erstmal möchte ich schnell zum Maelifell, der nur an wenigen Tagen im Jahr ohne Wolken zu sehen ist – und heute ist so einer. Herr Lofi hat die Rallye-Schuhe angezogen und heizt im Slalom zwischen den kleineren Vulkankegeln hindurch, die die Strecke bis zum Abzweig auf die F210 säumen.

Unser erstes Tagesziel sieht man schon von Weitem. Sein Anblick ist einfach atemberaubend. Als wäre er von einer fremden Macht hier platziert worden, erhebt sich aus dem schwarzen Sand der Umgebung ein 200 m hoher perfekter grüner Kegelvulkan – absolut einzigartig in Island. Und wir haben heute das Glück, ihn in all seiner Pracht zu sehen. Hier müssen die Drohnen beide ran, denn von unten ist der Anblick zwar schön, aber nicht so spektakulär wie aus etwa 200m Flughöhe. Nachdem wir mit der Anzahl und der Qualität unserer Aufnahmen zufrieden sind, geht’s zurück in Richtung Ringstraße. Diesmal halten wir öfter zum Fotografieren an. Besonders der Berg Öldufell mit seiner bizarren Form hat es Micha angetan, zumal er aus dem Myrdalsjökull herauszuspringen scheint. Und schließlich können wir an der Furt über die Bláfjallakvísl Foto- und Filmaufnahmen machen. Nach dieser starken Packung an Eindrücken nicken die beiden Mitfahrer auf dem nachfolgenden Streckenabschnitt ein, trotz des enormen Gerüttels und Gebollers, als wir zum zweiten Mal die riesige Lavazunge durchqueren. 

Irgendwann am späten Nachmittag haben wir die Ringstraße wieder erreicht. Jetzt müssen wir noch weitere 30 Kilometer Richtung Osten, denn erst kurz vor Kirkjubaerklaustur zweigt die F206 zur Lakispalte ab. Direkt nach dem Beginn der Buckelpiste übergebe ich das Steuer an Micha, wie im letzten Jahr. Eine reichliche Stunde Fahrt später passieren wir das Hinweisschild, das den Beginn der Laki-Region markiert. Von dem Hügel, auf dem es steht, hat man bereits einen guten Blick auf Teile der über 28 Kilometer langen Vulkanspalte. Damit zählt Lakagigar zu den sogenannten Supervulkanen, den mächtigsten und im Falle eines Ausbruchs gefährlichsten der Welt. Dies hier ist also Islands „hidden champion“. Keiner der etwa 130 Vulkankegel ist besonders hoch oder spektakulär groß. Sie liegen aufgereiht wie auf einer Perlenschnur, aber eben einer von fast 30 Kilometern Länge. Micha sieht happy aus und stapft zwischen den überwiegend mit hellgrünen Flechten bewachsenen Kraterkegeln herum. Ich glaube, er genießt einfach das Gefühl, da zu sein: an einem Ort, der die Geschichte Europas entscheidend mitgeprägt hat, ohne daß die meisten Menschen davon wissen. Die Wolken ziehen immer mehr zu, jetzt kommt auch noch Wind auf. Es wird ungemütlich. Also Rückzug angetreten. Und wieder zeigt Christian seine Qualitäten als Rennfahrer im schwierigen Gelände. 

Während ich weiterhin auf dem Rücksitz vor mich hin döse, bringen wir Kilometer um Kilometer hinter uns. In der Abenddämmerung wird Vík zum zweiten Mal am heutigen Tag erreicht. Tanken muß sein, und Abendessen ebenso. Direkt hinter der Zapfanlage böte sich die Black Crust Pizzeria an, da fackeln wir nicht lange und gehen dort rein. Als wir den Laden wieder verlassen, ist die Sonne fast weg, auch der „second sunset“ bahnt sich bereits an. Leider gibt das Gelände entlang der Straße in dieser Ecke nichts an Motiven her. Einmal kurz noch leuchtet der Himmel spektakulär rot auf, als wir im Süden die Westmännerinseln erkennen können. Aber bis wir an der vielbefahrenen Straße eine Haltemöglichkeit gefunden haben, ist der magische Moment auch schon wieder vorüber. Noch 200 km bis Reykjavík. Kurz vor 22 Uhr stehen wir vor dem großen Hagkaup, wo wir vor einer Woche unsere Vorräte besorgt haben. Dann fahren wir weiter nach Keflavík, wo wir noch das Auto volltanken und waschen, bevor wir unser Quartier für die letzte kurze Nacht beziehen. Mitten im Zentrum liegt es, direkt an der Hauptstraße, die in den Wochenend-Nächten zur Partymeile wird. Nur dank guter Schallisolierung finden wir nach Mitternacht überhaupt eine Mütze Schlaf, bevor uns in knapp vier Stunden der Wecker aus dem Bett klingeln wird.

Sonntag, 4. September –  Heimreise

Ausdauer haben sie, die Isländer – auch was das Feiern angeht, das muß man ihnen lassen. Unverändert tobt das Partyvolk auf der Straße vor unserem Haus herum. Obwohl: wenn man genauer hinsieht, kann man bei dem ein oder anderen Grüppchen junger Leute doch schon deutliche Ausfallerscheinungen sehen oder hören. Halb fünf verstauen wir die Koffer im Auto und fahren zur Basis unseres Mietwagen-Anbieters. Ab hier alles wie gewohnt. Keine Probleme bei der Rückgabe, weil gute Versicherung gebucht. Oder weil wir gestern Abend noch das Auto bis in die kleinste Ritze abgekärchert haben. Wer weiß? 

Wieder haben Lofi und ich Glück mit unseren Saga-Class-Tickets. Statt gefühlt einmal um den Block anzustehen, haben wir nur eine Handvoll Leute vor uns und sind nach zehn Minuten auf dem Weg zum Security-Check. Wir verabschieden uns kurz vor dem Gate und stellen dabei fest, daß wir als Gruppe toll harmoniert haben, was die Reise zu einem perfekten Gesamterlebnis machte. In dieser Konstellation können wir das gerne jederzeit wiederholen. Vielleicht meine Kollegen Robert oder Lukas dazu, dann kriegen wir auch noch das Maximum an Fotos aus der Tour raus. Bis zum nächsten Mal…

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