Anflug auf Vágar
Rückblende ins Jahr 2009. Nach vielen Gesprächen „in position“ mit meinem als Weatherman bekannten Kollegen Stefan über nordwärts gelegene Reiseziele steht für mich fest: auf die Färöer muß ich unbedingt mal reisen. Immer nur Norwegen ist ja auf Dauer auch langweilig. Als Planungstool besorge ich mir vorsichtshalber schon mal einen Reiseführer.
Sonntag, 23. Juni
Daß es doch 10 Jahre bis zur ersten Reise auf die Färöer dauern würde, hätte ich mir beim Kauf des Buches sicher nicht träumen lassen. Aber in diesem Jahr paßt alles zusammen: optimaler Zeitraum, mit Robert und Lofi zwei ebenso fotobegeisterte Begleiter und das „Go“ von Zuhause. Besonders willkommen ist mir in diesem Jahr der große Temperaturunterschied zum heimischen Rheintal. Während bei uns das Thermometer kommende Woche bis auf knapp 40 Grad klettern soll, erreichen die Werte auf den Färöern nur angenehme 12-13. Perfekt!
Robert und ich starten gemeinsam in Kandel und picken Lofi auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen auf. Etwas früher als gewöhnlich müssen wir dort sein, denn Herrn Hantzsche ist gestern aufgefallen, daß sein Personalausweis vorgestern abgelaufen ist, sein Reisepaß bereits vor einem Jahr. Aber Fraport hat natürlich eine eigene Paß-Stelle, wo man innerhalb einer halben Stunde vorläufige Ersatzdokumente ausstellen lassen kann. Wollen wir mal hoffen, daß die Nordmenschen diese auch akzeptieren. Aber ich bin optmistisch und versuche, meinen Kollegen zu überzeugen: „Robbert, det schaff’n wa schon!“
In Frankfurt jedenfalls interessiert sich schonmal niemand für irgendwelche Dokumente, und so sitzen wir entspannt im letzten Lufthansa-Flug des Tages nach Kopenhagen. Von dort geht morgen früh um 6 Uhr unser Anschlußflug mit Atlantic Airways nach Vágar, dem einzigen Airport der Färöer.
Das Clarion-Hotel am Flughafen Kastrup ist mit nur fünf Minuten Fußweg die nächstgelegene Herberge und läßt sich dieses Alleinstellungsmerkmal auch fürstlich bezahlen. 300 € pro Nacht sind für ein Komfort-Doppelzimmer mit Aufbettung eine ordentliche Ansage, aber immerhin ist das Frühstück im Preis enthalten. Lofi schenkt als Schlummifix noch eine Runde selbstgebrannten Obstschnaps aus, dann fallen wir gegen 1:00 Uhr ins Bett.
Ankunft in Vágar
Montag, 24. Juni
Aua, der Wecker! Drei Stunden Nachtruhe haben nicht wirklich gereicht, aber eine kalte Dusche macht mich einigermaßen wach. Meine beiden Reisebegleiter quälen sich ebenfalls nur mühsam aus ihren Betten, aber wir können ja später im Flugzeug noch eine Mütze Schlaf nehmen. Eingecheckt haben wir schon, also müssen wir nur schnell die Koffer abgeben und können danach noch einigermaßen entspannt frühstücken gehen. Gesagt, getan. Das Buffet, welches hier bereits morgens um 4:00 Uhr aufgefahren wird, ist wirklich ausgezeichnet, sowohl bei Auswahl als auch Qualität der Produkte. Da kann sich die Mehrzahl der von mir bislang besuchten Hotels gerne mal eine Scheibe von abschneiden.
Gut gestärkt schlendern wir zur Sicherheitskontrolle, und wieder einmal interessiert sich niemand für irgendwelche Ausweise. Allzu lange müssen wir auch nicht aufs Boarding warten, und fast pünktlich heben wir ab. Vágar, wir kommen!
Der Flug verläuft ruhig, wir dösen noch ein wenig in der nur zu einem Drittel gefüllten Maschine. Kurz vor dem Endanflug reißt die Wolkendecke auf, und wir können auf den letzten Meilen schon einige Fotos schießen. Das kleine Terminal hat nur zwei Gates, alles recht familiär hier. Mal wieder keine Ausweiskontrolle und auch null Hektik am Gepäckband. Am Schalter der Autovermietung keine Überraschungen, ein etwas untermotorisierter KIA Cee’d soll in der nächsten Woche unser Gefährt sein.
Die dünne Wolkendecke hat sich mittlerweile komplett aufgelöst. Das wollen wir ausnutzen und schon gleich ein paar Fotospots auf der Insel Vágar abklappern. Wo wir schon mal hier sind. Erstes Ziel: der Wasserfall Múlarfossur, der am Rande des Ortes Gásadalur fotogen ins Meer stürzt. Eins dieser typischen Instagram-Motive, wenn nicht sogar das meistfotografierte der Färöer. Heute morgen ist das Licht zwar ganz okay, aber die großen Licht-Schatten-Kontraste bringen meine Kamera an ihre Grenzen. Nach einer halben Stunde Knipserei ohne zufriedenstellende Ergebnisse packen wir unsere Sachen und gehen eine kleine Runde an den Klippen entlang und um das Dorf herum.
Im Vorfeld der Reise haben wir alle den YouTube-Channel des dänischen Fotografen Mads Peter Iversen angesehen, auf dem es zu jeder Insel der Färöer ein eigenes Video mit Tips zu den einzelnen Fotospots gibt. In den vergangenen Jahren hat es wohl immer wieder Unfälle mit unvorsichtigen Touristen gegeben, die besonders die örtlichen Windbedingungen unterschätzt und diesen Leichtsinn mit ihrem Leben bezahlt haben. Einmal von einer der bis zu 500 m senkrecht ins Meer abfallenden Felskanten geweht, kann man bestenfalls noch mit einer Bergung rechnen. Daher auch die Warnung in jedem Video: „Be careful! If you fall off the cliff, you (probably) die…“
Hier in Gásadalur wollten sich die Einheimischen jedenfalls nicht auf die Vernunft der Besucher verlassen und haben die Dinge selbst in die Hand genommen. Wo immer möglich, wurde ein sicherer Pfad nahe der Klippenkante abgesteckt und mit gelben Leinen markiert. Sehr umsichtig! Manche Motive aus früheren Reisen lassen sich nun leider ohne Landfriedensbruch nicht mehr erreichen, aber unten im Ort hat man zumindest freien Zugang zur Hauptattraktion.
Wir setzen unsere Reise fort und fahren in Miðvágur einkaufen, was wir so an ersten Vorräten brauchen. Ballerina-Kekse, die Haupt-Energiequelle auf all meinen Nordland-Reisen, gibt’s auch hier. Ich bin glücklich. Robert und Lofi wagen sich an einige seltsam aussehende einheimische Bonbons, deren Geschmack hält, was die Optik verspricht. Seramis meets Hundekot, mehr sage ich dazu nicht. Weiter geht’s zum Trøllkonufingur, einer Felsnadel vor der Küste bei Sándavagur. Ein kleiner Parkplatz ist vorhanden, ein kurzer Wanderpfad auch, und nach zehn Minuten Fußweg sehen wir den „Hexenfinger“ aus dem Meer ragen. Heute ist es ungewöhnlich sonnig und nahezu windstill, da sind selbst 12 Grad gut im T-Shirt auszuhalten.
Da wir bereits um acht Uhr morgens gelandet sind, unser Quartier aber nicht vor dem Nachmittag bezugsfertig sein wird, müssen wir noch ein wenig Zeit totschlagen, und das geht wunderbar bei einem Stadtbummel durch die Hauptstadt Tórshavn. Im alten Stadtkern auf der Halbinsel Tinganes befinden sich alle Ministerien der teilautonomen Region Färöer. Wie bei einer Bevölkerung von 50.000 Seelen nicht anders zu erwarten ist, geht auch hier alles sehr locker und familiär zu. Das Energieministerium beispielsweise ist in einer kleinen roten Rorbu untergebracht, alle anderen Ressorts ebenso kuschelig in historischen Holzhäusern in der Nachbarschaft.
Gegen 15 Uhr schickt uns unsere Gastgeberin Karis eine Nachricht, daß die Ferienwohnung klar zum Einzug sei. Wir sitzen gerade noch im Café Paname vor ein paar Sandwiches zum Mittag. Also aufessen und los; ein paarmal verfahren – ist aber auch kein Wunder bei der Müdigkeit. Wir verteilen uns auf die Zimmer und machen erst einmal ein Nickerchen. Drei Stunden später brechen wir nach einer Besichtigung der Küche auf, um Lebensmittel einzukaufen. Alles wird verstaut, und wir fahren nochmal nach Downtown zum Abendessen, denn bereits am Mittag fiel uns eine vielversprechende Pizzabude ins Auge.
Ende Juni wird es auf den Färöern eigentlich nie richtig dunkel, also hat man bis spät in die Nacht schönes Licht (falls das Wetter mitspielt). Diesen Umstand wollen wir heute bei unserer ersten Abendwanderung ausnutzen. Die Klippen von Trælanipa sind das Ziel. Der Weg dorthin führt über Privatgelände und ist seit diesem Jahr „mautpflichtig“. Umgerechnet 30 € pro Person sind sicherlich kein Pappenstiel, aber das Geld wird in den Ausbau des Wanderpfades gesteckt. Heißt es jedenfalls. Wenn man die Gestalten anschaut, die den Eingang bewachen, dürfen durchaus Zweifel angebracht sein. So wie die aussehen, werden mit unserer Kohle eher die heimischen Alkoholvorräte aufgestockt. Egal: der dem’s gehört, bestimmt die Regeln.
Kurz vor 21:00 Uhr erreichen wir den Parkplatz, an dem der Weg beginnt. Gleich wird das Tor abgeschlossen, danach kommt man nur noch raus, aber nicht mehr rein. Ungefähr eine Stunde dauert der Fußmarsch zu den Klippen, und er ist jede Minute davon wert. Unterwegs erfreuen einen bereits immer wieder schöne Aussichten auf den See Leitisvatn, und am Ziel genießen wir einen atemberaubenden Blick auf den See, der – je nach Kamerastandort und Wolkenlage – über dem Meer zu schweben scheint. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Sonne hinter dem Berg nebenan versinkt, gelingen uns noch ein paar schöne Aufnahmen der Szenerie. Während sich der Himmel bereits bunt färbt, wird zum Rückzug geblasen. Es ist 23:30 Uhr, aber immer noch ist genug Restlicht zum Fotografieren da. Eine halbe Stunde nach Mitternacht erreichen wir wieder den Parkplatz, essen Pizzareste von vorhin und fahren noch ein paar Kilometer zum Nordufer des Sees.
In der Nähe des Flughafens hat man vor einiger Zeit im Uferbereich aus Gabionen eine Pferdeskulptur namens „The Nix“ errichtet, die abends bunt angestrahlt wird. Da jetzt gerade blaue Stunde ist, wollen wir dieses Motiv noch mitnehmen. Wir platzieren uns im flachen Wasser, um den Gaul mit einer brauchbaren Spiegelung aufs Bild zu bannen, denn wie Lofi immer sagt: „Ein Foto ohne Spiegelung gehört zu den Dingen, die die Welt nicht braucht.“ Robert post kurz vor Ende der Session noch sehr professionell als Held im Kampf gegen das Ungeheuer aus dem See. Da sollten doch heute ein paar ordentliche Aufnahmen dabei sein, also packen wir um zwei Uhr unseren Kram zusammen und fahren heim. In der Ferienwohnung erfolgt dann noch eine schnelle Sichtung, WhatsApp an die Liebsten daheim, und gegen vier fallen uns die Augen zu. Irgendwann muß eben auch einmal Schluß sein…
Lofi fotografiert den See Leitisvatn
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