þingvellír

Samstag, 3. Oktober

Da wir nur drei volle Tage Zeit haben, muß ich mich bei meiner Promotion-Tour auf die touristischen Highlights beschränken, die von Reykjavik aus im Rahmen eines Tagesausflugs zu erreichen sind. Warum also nicht mal den ausgetretenen Pfaden folgen und den „Golden Circle“ abfahren? Gesagt, getan. Aber erst einmal brauchen wir eine solide Nahrungsgrundlage. Nach dem suboptimalen Ablauf gestern wollen wir den Tag heute gleich richtig beginnen und fahren deshalb zum Hotel Hilton Reykjavik Nordica, wo ein opulentes Buffet (laut Reiseführer das beste in ganz Island) auf uns wartet. Mit umgerechnet 23 € pro Person nicht gerade super günstig, das zahlt man allerdings mittlerweile in besseren deutschen Hotels auch.
Gut gestärkt machen wir uns auf den Weg. Zunächst geht es nördlich aus der Hauptstadt heraus Richtung Mosfellsbær und von dort aus nach Osten zum See Þingvellirvatn. Die Straße führt durch sanfte Hügellandschaft, auf die in der Nacht ein wenig Schnee gefallen ist. Dazu kommt leichter Frühnebel – das sieht schon recht winterlich aus. Das Thermometer spricht eine ebenso klare Sprache: 2°C, nicht allzu kuschelig. Nun gut, es ist ja auch Oktober, und wir sind froh, daß es nicht regnet. Nach einer guten Stunde Fahrt, immer wieder unterbrochen durch kurze Fotohalte, erreichen wir den großen Parkplatz am Besucherzentrum von Þingvellir. Hier tagte ab dem 9. Jahrhundert das sogenannte Allþingi, das erste Parlament auf europäischem Boden. Open Air natürlich – in einer Schlucht, die von Jahr zu Jahr mehr Zuschauern Raum bot. An diesem historischen Tagungsort entlang verläuft eine Spalte zwischen der europäischen und der amerikanischen Kontinentalplatte, deren Auseinanderdriften dafür sorgt, daß die Schlucht jedes Jahr ca. 8 mm breiter wird. Daher der Zuwachs an Plätzen. Die würden heute auch alle gebraucht, denn hier zieht ameisengleich ein steter Strom von Touristen aus aller Herren Länder durch. Asiaten sind gerade deutlich in der Überzahl. Und verstellen für halbe Ewigkeiten die schönen Aussichtspunkte, weil offenbar gerade in chinesischen Reisegruppen wirklich jede mögliche Personenkombination vor jedem brauchbaren Motiv abgelichtet werden muß. Das dauert natürlich seine Zeit.
Weiter geht es durch das Tal von Þingvellir, das dank der ab und zu durch die Wolken scheinenden Sonne in herbstlichen Farben strahlt. Hier schlängelt sich die Straße durch lichte Birkenwälder und Heidekraut, bevor das Terrain wieder ansteigt und die Vegetation abermals wechselt – zurück zum typisch isländischen Sparbewuchs aus Flechten und Moosen. Meiner Melanie gefällt die Gegend trotzdem. Und das ist doch die Hauptsache!
Wir lassen das eigentlich naheliegende Ziel, den großen Geysir, zunächst im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal links liegen, weil hier gerade ein großer Schwung Busse angekommen ist, und fahren weiter zum 10 Kilometer entfernten Gullfoss. Dort schließen uns dem Ameisenstrom an und laufen direkt zur oberen Kaskade vor. Der größte Wasserfall Europas scheint meine Liebste mächtig zu beeindrucken. Minutenlang ist mit Ihr nicht vernünftig zu reden. Hier kann man sich allerdings auch kaum unterhalten, so laut tost das Wasser. Und fotografieren kann ich direkt mal vergessen, die Gischt hat innerhalb weniger Sekunden die komplette Linse der Kamera vollgesuppt. Also gehen wir mehr oder weniger schweigend einige Zeit herum und versuchen, die Szenerie in uns aufzunehmen. Da Melanie aber noch ein schönes Erinnerungsbild von hier mitnehmen soll, erklimmen wir noch die Besucherplattform oberhalb des Falles, wo wir mit Hilfe unseres Stativs ein gescheites Selfie hinbekommen. Ein weiteres wird noch am Parkplatz, kurz vor der Weiterfahrt, aufgenommen.
Das dritte Ziel der heutigen Rundfahrt heißt Stokkur. Das bedeutet übersetzt „Butterfaß“ und bezeichnet den aktivsten Geysir Islands, der mit schöner Regelmäßigkeit etwa alle 3 Minuten ausbricht. Weil ich weiß, daß ich mit meiner Knipskiste direkt vorne am Geschehen keine brauchbaren Aufnahmen bekommen werde, schicke ich Melanie schon mal voraus und postiere mich etwa 50 Meter vom Geysir entfernt. Und wenn schon die Touristenmassen nicht aus dem Bild wegzukriegen sind, so veranschaulichen sie doch recht deutlich, mit welcher Wucht hier das heiße Wasser in die Höhe geschleudert wird. Die Fotoreihe mit der höchsten Fontäne ist hier übrigens nicht zu sehen, weil ich von dieser keinen ordentlichen Ausschnitt hinbekommen habe. Nach zwei Eruptionssserien packe ich mein Equipment ein und laufe vor zu Melanie, um mit ihr zusammen das Schauspiel zu erleben, das jedem Ausbruch vorausgeht. Bevor nämlich die Wassermassen aus der Erde geschleudert werden, täuscht der Stokkur einige Male den Auswurf an, zieht sich dann jedoch immer wieder zurück. Irgendwann jedoch wölbt sich eine türkisblaue Wasserblase über dem Loch, aus der dann mit lautem Gefauche die Fontäne hervorbricht.
An dieser Stelle wäre der Pflichtteil der Golden-Circle-Tour eigentlich zu Ende. Weil ich aber Melanie heute möglichst viel zeigen will – morgen ist ganztägig Regen angesagt – frage ich sie, ob sie nicht noch Lust auf ein bis zwei weitere Wasserfälle hat. Ich kenne die Antwort schon, denn meine Frau ist ein großer Fan davon. Also gebe ich mal den Seljalandsfoss ins Navi ein, der etwa eine Autostunde entfernt, direkt an der Ringstraße 1 liegt. Unterwegs ist das Land ganz flach, und in einiger Entfernung können wir den charakteristischen Kegel des Vulkans Hekla ausmachen, um den wir praktisch einmal halb herumfahren. Bedrohlich ziehen dunkle Wolken über seinem Gipfel herauf und bewegen sich leider genau in unsere Richtung. Nicht so gut, doch wir sind ja flexibel.
Als wir – an der Zufahrtsstraße zum Seljalandsfoss angekommen – in einen Regenschauer geraten, drehen wir direkt wieder um und fahren noch 30 Kilometer weiter nach Osten. Dort liegt hinter einem Bergmassiv, und damit im Regenschatten desselben, der berühmte Skogafoss. Den kennt sogar Melanie schon – und zwar vom Eurovision Song Contest 2014, als die isländischen Teilnehmer in einer Nachtaktion auf diesen Wasserfall mit einem riesigen Beamer ihre Nationalflagge projizierten. Mit dem kleinen Filmchen dieser Prozedur sind sie unserer Familie im Gedächtnis hängen geblieben. Heute beamt hier niemand, es knipsen nur die Touristengruppen, die gerade mit zwei Bussen von „Reykjavik Excursions“ vor uns angekommen sind. Na gut, lassen wir die erst mal machen und genießen still dieses beeindruckende Naturschauspiel. Irgendwann sind aber auch die Touris alle wieder weg, und außer uns bleibt nur noch eine Handvoll Fotografen zurück. Diese Gelegenheit nutze ich und bekomme Melanie aufs Bild, wie sie ziemlich weit vorne am Wasserfall steht. Und sie ist – ich habe es mir fast gedacht – beeindruckt von diesem Ort. Das läuft doch super! Wir erklimmen den steilen Pfad, der an der Seite des Skogafoss zur Aussichtsplattform an der oberen Kante führt. Hier beginnt sogar ein Wanderweg zum Myrdalsjökull, den ich bei einer der nächsten Reisen sicher mal ausprobieren werde. Heute haben wir dafür jedoch leider keine Zeit. Ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, direkt vor dieser herrlichen Kulisse meinen neuen Campingkocher auszuprobieren und etwas Warmes zu essen, mit Blick auf die tosenden Fluten. Dazu habe ich mir im Basislager Karlsruhe ein paar Expeditionsmahlzeiten gekauft, die man nur mit heißem Wasser übergießen muß. Dann 10 Minuten ziehen lassen und fertig. Da Melanie noch immer vorne am „Auffangbecken“ steht, treffe ich die Entscheidung, welches dieser High-End-Produkte wir heute ausprobieren werden und wähle den mediterranen Fischtopf mit Reis. Sagen wir mal so: lecker ist anders. Aber die Pampe macht halbwegs satt (wir teilen uns eine 1-Mann-Ration), und wir können ohne Hektik und Hungergefühl den letzten Programmpunkt des heutigen Tages in Angriff nehmen. Noch ein letzter Blick zurück, einmal kurz durchgeschnauft und festgestellt, daß hier bald wieder ein Besuch fällig ist, dann packen wir unsere Sachen ins Auto und fahren zurück. Immer nach Westen, grob in Richtung Reykjavik. Und bereits nach 30 Kilometern folgt ein weiteres Highlight.
Wer meinen Island-Reisebericht von 2011 gelesen hat, der kennt vielleicht die Geschichte des „225-Euro-Fotos“. Hier die Kurzversion: Beim Versuch, die Strecke Jökulsarlon-Seljalandsfoss wegen Zeitdruck durch zu erwartenden schönen Sonnenuntergang in Rekordtempo zurückzulegen, wurde eine unserer Zwischenzeiten offiziell durch die Polizei gestoppt. Damit einhergehend eine geringfügig überhöhte Geschwindigkeit, was uns einen Malus von 300 Euro auf die Reisekasse eingebracht hätte, der aber dank sofortiger Kreditkarten-Zahlung mit 25% rabattiert wurde. Blieben am Ende 225 Euro „Produktionskosten“ für ein perfektes Foto eines großartigen Naturschauspiels.
Heute sind wir jedoch ohne Hektik unterwegs und erreichen unser Zwischenziel in der Abenddämmerung. Und wieder sammelt Island Pluspunkte auf Melanies Beliebtheitsskala. Wir gehen einmal unter dem Wasserfall hindurch und schaffen mit Hilfe von Stativ und Selbstauslöser noch ein paar anständige Erinnerungsfotos für das Fotoalbum. Damit ist der letzte Programmpunkt für heute abgehakt, und wir setzen Kurs auf unser Quartier in der Hauptstadt. Unterwegs kaufen wir noch einen kleinen Snack fürs Abendbrot ein und erreichen Reyjkavik gegen 8 Uhr abends.
Unsere Gastgeber veranstalten heute eine Party, zu der wir spontan eingeladen werden. Arna hat bereits ein großes Buffet aufgebaut, und alle warten auf die Ankunft der Gäste. Allerdings sind wir nach dem langen Tag zu platt, um noch einmal hochzugehen und mitzufeiern. Also lassen wir die Isländer unter sich und legen uns ziemlich bald schlafen. Morgen wollen wir schließlich auch wieder viel unternehmen. Mal sehen, ob das Wetter mitspielt…

Hekla

älter Wintertour 2015
neuer Lofoten 2016, Teil 1

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