
Raftsund bei Digermulen
Montag, 16. Februar
Der Unterschied zum Sommer ist unter anderem der, daß man in aller Ruhe ausschlafen kann, weil die Sonne erst relativ spät herauskommt und man selbst um zehn Uhr vormittags noch das schöne Licht hat. Wir frühstücken in aller Ruhe, bevor wir gegen elf Uhr aufbrechen.
Heute nehmen wir Kurs auf das Raftsund-Gebiet. Das Wetter ist wieder super. Wer behauptet eigentlich, daß es hier zu dieser Jahreszeit immer neblig ist? Wieder erwarten uns unterwegs tolle Winterlandschaften. Wir dürfen uns über viele Seeadler freuen und treffen auch auf Elchspuren. Aber leider läßt sich heute kein Elch leibhaftig blicken.
Ich folge, kurz vor Digermulen, einer dieser Spuren bis zum Ufer des Raftsund. Und wieder einmal bekomme ich vorgeführt, wie genial die Natur zuweilen ist. Während der gemeine Elch mit seinen breiten Füßen höchstens 10-15 cm im Schnee einsackt, versinke ich bei dem Versuch, in seinen Spuren zu laufen, des Öfteren bis zur Taille und bekomme allmählich nasse Hosen. Unten am Wasser genieße ich eine Zeitlang noch den Ausblick, den auch der Elch hatte, nehme ein paar Panoramen auf und wate wieder zur Straße zurück.
Etwas weiter treffen wir am Wegesrand auf die Stelle, wo wir 2008 mit Holger und Andreas zu nächtlicher Stunde auf die Einfahrt der Hurtigruten in den Trollfjord gewartet haben. Sven und ich beschließen, den kleinen Hügel hochzukraxeln. Aber heute ist Vorsicht geboten, da das Gelände sehr zerklüftet ist und man jederzeit in eine durch Schnee nahezu perfekt getarnte Felsspalte abrutschen könnte. Auf der Rückfahrt bekommen wir die Nachmittagssonne ab, die den Raftsund in goldenes Licht taucht. Nach etwa einer halben Stunde ist das Schauspiel aber auch schon wieder vorbei, und dann versinkt dieser Meeresarm im Schatten.
Heute Abend kocht Anne Gerd ein typisches Lofoten-Essen. Kabeljau. Dazu gibt es gekochten Rogen sowie als Beilagen Kartoffeln und gedünstete Möhren. Eingeladen sind auch unsere alten Freunde Elizabeth und Jan Erik. Außerdem ist Anne Gerds Sohn Marius zu Besuch. Chicken und ich haben Wein gekauft, und so wird es natürlich wieder ein sehr lustiger Abend. Jan Erik gibt ein paar Taucheranekdoten zum Besten, und besonders Elizabeth sorgt mit einem Mix aus Norwegisch, Spanisch, Englisch, einigen Fetzen Deutsch und einer gehörigen Portion Mimik und Gestik für großartige Unterhaltung! Wie uns Anne Gerds Freundin berichtet, wollen offensichtlich auch Andreas und Holger im nächsten Sommer noch mal auf die Lofoten reisen, und Chicken und ich sagen zu, daß wir dann ebenfalls versuchen werden, wieder dabei zu sein.
Marius lädt uns ein, ihn in seinem Haus in Lappland zu besuchen, das er kürzlich für wenig Geld mit einem Kumpel zusammen gekauft hat. In der Gegend könne man im Winter schöne Touren mit dem Schneemobil unternehmen, erzählt er und läßt etwas versteckt durchblicken, daß wir, wenn wir denn mal da sind, sicher auch ganz tolle Fotos von seiner Villa Kunterbunt machen könnten. Ich gebe ihm, quasi als Appetizer, eins der beiden Panorama-Poster von Reine mit, von denen ich das andere Anne Gerd als Gastgeschenk mitgebracht habe.
Wir verlassen die lustige Runde um 22:30 Uhr wegen der abendlichen Lichtshow. Heute versuchen wir im Süden, auf der Insel Gimsøya, unser Glück. Die liebliche Kirche dort, mittlerweile renoviert, wird nachts angestrahlt, was in Natura toll aussieht, aber leider auf den Fotos überhaupt nicht rüberkommt. Als wir an der Westküste entlang fahren, dreht plötzlich das Polarlicht so richtig auf. Nach den Erfahrungen mit den stark überbelichteten Bildern von gestern meiden wir den Ort Vinje und biegen dort in Richtung Inselmitte ab, wo sich ein Naturschutzgebiet mit wenig Vegetation und noch weniger Streulicht befindet. Nach etwa zwei Kilometern haben wir eine perfekte Stelle gefunden. Ein paar Sträucher geben den Vordergrund, der Schnee reflektiert das Nordlicht, und am Horizont sieht man den rötlichen Schein einer Wolke, angestrahlt von den Lichtern des Ortes Kvalnes auf Vestvågøya. Und wie bestellt bleibt eine Aurora für einige Minuten fast bewegungslos stehen. Ich bin schwer begeistert.
In einer kurzen Dunkelpause packen wir unsere Sachen zusammen und fahren weiter nach Henningsvær, das wir schon von weitem erkennen können. Aber ganz bis hin kommen wir nicht, denn inzwischen hat das Leuchtspektakel erneut begonnen und zaubert eine atemberaubende Atmosphäre.
In Henningsvær fahren wir bis zum Leuchtturm am Ende des Ortes und bauen uns auf einem Hügel zwischen den Stockfischgestellen auf. Ein Funkmast auf einer Halbinsel nebenan gibt ein tolles Motiv ab, und das kleine Seezeichen sorgt mit seinem Licht für beinahe weihnachtliche Stimmung auf dem Foto. Und wieder hat sich die Ausfahrt gelohnt.
‚brennender‘ Baum bei Laukvik
Dienstag, 17. Februar
Heute ist schon der letzte Tag unseres Winter-Schnupper-Urlaubs. Schade.
Wir machen uns auf den Weg nach Fiskebøl und wollen mit der Fähre zur Insel Hadseløya übersetzen. Der heutige Plan sieht vor, eine Wanderung zu einer Berghütte zu machen, wo man eine tolle Aussicht auf die Lofotenwand hat. Leider macht uns der Schnee einen Strich durch die Rechnung, so daß die Wanderung eher zu einem Spaziergang verkommt. Wenn man nochmal im Winter herkommt, gehören definitiv Schneeschuhe ins Gepäck.
Mein an sich genialer Plan A, per Auto zur Orneshytta, der Wanderhütte des norwegischen Roten Kreuzes, zu kommen, schlägt mangels eines geländegängigen Fahrzeugs fehl.
Hier bräuchte man mindestens einen Traktor, besser noch einen Panzer, um dort hoch zu gelangen. Zu tief verschneit sind die Feldwege. Plan B, die Wanderung, die ich mit Micha und Jörg im letzten Sommer zum Berg Storheia unternommen hatte, zu wiederholen, scheitert erneut an unserer unzureichenden Ausrüstung. Schneeschuhe gehören im Winter unbedingt ins Gepäck. Alternativ dazu könnte man Tourenski mitnehmen, denn allerorten gibt es gespurte Loipen, und an ein paar Stellen sogar richtige Pisten für Abfahrer. Sven hat den passenden Slogan parat: „Skifahren mit Meerblick“. Wir folgen ein Stück dem Rundwanderweg, der im Winter für Langläufer präpariert wird, und bekommen noch einige schöne Ausblicke auf den Hadselfjord und die Lofotenkette geboten. Aber langsam müssen wir zurück.
Wir fahren zum Abschluß noch einmal um die Insel herum und genießen die verschneiten Strände, bevor wir wieder zum Fähranleger kommen. Heute wollen Chicken und ich kochen, so daß es uns in die Karten spielt, wenn wir etwas früher zurück sind.
Die Zutaten für das thailändische Abendessen haben wir vorausschauend bereits gestern im AMFI, dem größten Einkaufszentrum der Lofoten, besorgt. Der darin eingebaute Lebensmittelmarkt ist vergleichbar mit dem Scheck-In Center daheim in Karlsruhe, jedoch ohne dessen Spezialitäten-Theken. Mich beeindruckt, was man selbst hier oben im Norden alles an frischen Zutaten in dieser Jahreszeit bekommt. Lediglich das Zitronengras kommt aus dem Glas.
Chefkoch Chicken und Assistent Sven zaubern leckeres thailändisches Essen, um Anne Gerd wieder auf Urlaubsgeschmack zu bringen. Heute ist die Runde etwas kleiner, weil lediglich Elizabeth zu Besuch ist. Jan Erik muß leider Überstunden schieben, und Marius befindet sich wieder auf der Heimfahrt zum Festland.
Macht aber nix. Lustig ist‘s allemal, denn Elizabeth versucht, mir nach dem Essen und dem Genuß einer halben Flasche Weißwein, Norwegisch beizubringen. Ich verstehe nur die Hälfte, was mich allerdings nicht davon abhält, meinerseits Elizabeth bei den Hausaufgaben für ihren Norwegisch-Kurs an der Abendschule zu helfen, was eigentlich Aufgabe der Hausherrin gewesen wäre. Anne Gerd und Sven kommen kaum aus dem Lachen heraus, denn hier führt offensichtlich ein Blinder einen Blinden.
Kurz vor 23 Uhr bringen wir Elizabeth nach Hause, da sie morgen Frühschicht hat und wir ja noch zum letzten Mal auf Polarlicht-Expedition fahren wollen. Wir werden eingeladen, sie bei der nächsten Reise zu besuchen, um dann auf ihrem frisch renovierten und erweiterten Balkon mit Blick auf Svolvær zu grillen.
Noch einmal führt uns unser Weg an die Nordküste von Austvågøya. Wir verlassen Svolvær bei -4 °C. In Sandsletta – eine halbe Stunde später und nur 30 Kilometer weiter – ein Schreck beim Blick aufs Thermometer: -14°C. Zudem hat der Wind ziemlich aufgefrischt und weht jetzt straff aus Nordwest, bereits nach wenigen Minuten sind wir ziemlich durchgefroren. Also werden noch zwei Schichten Kleidung zusätzlich angezogen, und schon geht‘s wieder. Heute ist, im Vergleich zu den letzten beiden Nächten, viel mehr Bewegung beim Polarlicht zu erkennen. Intensiver leuchtet es auch. Ein gelungener Abschluß. Am Pavillon in Grunnfør sind es schon -17°C, so daß wir heute die Lightshow mehr von drinnen genießen, vor Wind und Kälte geschützt. Plötzlich, gegen ein Uhr, kommt die gesamte Nordlicht-Aktivität binnen weniger Minuten komplett zum Erliegen. Als ob jemand den Schalter ausgeknipst hätte und uns sagen wollte: „Männer, seht zu, daß Ihr ins Bett kommt.“ Also begeben wir uns wieder auf den Rückweg.
Auroren über Grunnfør
Mittwoch, 18. Februar
Wir machen uns früh auf den Weg zum Flughafen. Auch als wir die Lofoten verlassen, bleibt uns das schöne Wetter treu, so daß es einige Gelegenheiten zum Fotografieren gibt. Bei einem kurzen Stop unweit von Lødingen wundern wir uns über plötzliche eisige Kälte und müssen beim Blick auf das Thermometer feststellen, daß wir gerade –20°C haben. Dazu kommt ein Windchill-Faktor von mindestens weiteren 15 Grad. Gefühlte –35°C? Zapfig. Auf der Weiterfahrt zum Flughafen Evenes „stolpern“ wir dann doch noch über einen Elch, der genüßlich am Baum knabbernd neben der Straße steht. Damit hatte ich gar nicht mehr gerechnet, aber Chicken hat ihn zum Glück gesehen. Also kommen wir doch noch zu unseren Tierfotos, bevor sich der Elch von uns belästigt fühlt, die Augen verleiert und genervt das Weite sucht. Am Flughafen sehen wir zu, daß wir der Kälte entkommen. Nach kurzem Stop in Oslo kommen wir bei frühlingshaften 6°C wieder in Frankfurt an, wo uns Melanie, Johannes und Paula abholen.
Svens Fazit
Die Lofoten sind auch im Winter einen Besuch wert. Logisch, wenn man wie wir mit reichlich Schnee, Sonne, Elchen und Nordlicht verwöhnt wird. Vielleicht geht’s nächsten Winter hierher. Anne Gerd und Marius haben uns zu Schneeschuh-, Ski- und Snowmobiltouren eingeladen. Skifahren mit Meerblick! Muß man erleben.
Christians Fazit
Ich seh‘s genauso. Meine Erwartungen sind rundum übertroffen worden. Das geht schon damit los, daß in Oslo die Billigflieger schneller abgefertigt werden, seitdem die olle SAS dort nicht mehr der „Platzhirsch“ ist. Wie erwartet, haben die Norweger ihre Straßen auch im Winter im Griff. Der Räumdienst ist immer unterwegs, ansonsten kann man mit Spikes fast wie auf normaler Straße fahren. Sehr angenehm. Letztlich das Wetter. Überall lag Schnee. Ungewöhnlich viel für die Lofoten, so die Einheimischen. Sonne am Tag und Polarlicht in der Nacht. Besser geht‘s nicht.
‚The Three Tits of the Tjeldsund‘

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