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auf der Mole in Svolvær

Samstag, 30. Juli

Da Johannes die gestrige kleine Nachmittagswanderung wie nix weggesteckt hat, unternehmen wir heute die erste „richtige“ Tour. Es geht zum Glomtind, eine Strecke, die ich auch schon mit ausgewachsenen Reisebegleitern schon gelaufen bin. Wir starten am Rørvikvatnet und wählen somit die Strecke, deren unterer Teil weniger steil verläuft und zudem noch reichlich Möglichkeiten zum Steinewerfen bietet. Dies ist während unserer gesamten Reise Johnnys Lieblingsbeschäftigung, und damit beweist er wieder mal, daß er mein Sohn ist, denn genau das habe ich als kleiner Junge in unseren Familienurlauben auch immer gerne getan. Oder an Bächen spielen, kleine Staudämme bauen, Mini-Flutwellen auslösen und solche Dinge. Genau dazu bietet diese Route reichlich Gelegenheit. Nach knapp einer Stunde, am Übergang von der alten Paßstraße zum Beginn des eigentlichen Aufstiegs legen wir eine kurze Rast ein, teilen uns einen „Toppris“-Riegel und trinken ein paar Schlucke aus der Feldflasche. Nun folgt ein etwas steileres Stück, bei dem Johannes seine Wanderstöcke zum Einsatz bringen kann. Unterwegs pflücken wir immer mal wieder ein paar Blaubeeren. Nach einer weiteren Stunde haben wir das kleine Felsplateau erreicht, das sich etwa fünfzig Höhenmeter unterhalb des eigentlichen Gipfels befindet. Hier endet heute unsere Wanderung, denn ich will es gerade am ersten Tag nicht übertreiben, wie das früher immer bei unseren Familienurlauben vorkam, wenn der Vater sagte: „Nur noch ein kleines Ringel nach dem Mittagessen, ein kurzer Spaziergang“, woraus dann nicht selten eine mehr als zehn Kilometer lange Tour wurde.
Wir verzehren unsere Brote, genießen noch etwas die tolle Aussicht und machen uns dann auf den Rückweg. Unterwegs treffen wir eine norwegische Familie mit einigen Kindern, die uns etwas besorgt fragen, wie kalt es denn „oben“ wäre, worauf ich entgegne „So wie hier.“ Alle sehen sich an, sehen uns an, sehen sich wieder an und müssen ein wenig grinsen. Der Vater fragt uns, woher wir kommen, und in dem Augenblick, wo ich „fra Tyskland“ sage, dämmert mir, worüber die Familie sich gerade so amüsiert hat. Die heutigen 10°C, verbunden mit leichtem Wind der Stärke 7 und bewölktem Himmel sind ja für die Nordnorweger schon ideales Sommerwetter. Wir sind diesbezüglich andere Bedingungen gewöhnt, was erklärt, warum Johannes und ich in Trekking-Klamotten mit Mütze und hohen Wanderstiefeln herumlaufen und die Wikingernachfahren eben nur mit Sandalen, kurzen Hosen und T-Shirts. Wir tauschen noch ein paar Gedanken über das Klima sowie dazu passende Bekleidung aus, verabschieden uns dann von der Großfamilie und setzen unseren Weg zum Ausgangspunkt der Wanderung fort. Nicht jedoch, ohne unterwegs wieder an einigen steilen Abhängen zu pausieren, von denen aus man herrlich Steine nach unten werfen und zusehen kann, wie sie über die tieferliegenden Geröllfelder springen und dabei gelegentlich „explodieren“.
Nach diesem ersten Programmpunkt fahren wir weiter nach Henningsvær, um für Melanie ein Mitbringsel zu kaufen. Sie hatte sich letztes Jahr in einer der Kunsthandwerks-Boutiquen am Hafen ein paar schöne grüne Ohrringe erstanden, und ich hoffe, heute die dazu passende Kette zu finden. Leider ist die zuständige Künstlerin inzwischen nach Australien ausgewandert, wie mir die Bedienung an der Kasse erklärt, nachdem ich ihr mein Anliegen geschildert habe. Sie bietet mir an, die Telefonnummer der Dame herauszusuchen, damit ich sie selbst fragen kann, ob sie vielleicht noch ein Exemplar der Halskette in petto hat. Aber ich lehne dankend ab, weil mir der Aufwand doch ein wenig übertrieben scheint. Melanie bestätigt in einem kurzen Telefonat meine Ansicht, und somit bleiben die Ohrringe schöne Einzelstücke in Erinnerung an einen tollen Urlaub.
Weil man ja hier oben nie genau weiß, wie sich das Wetter entwickelt, habe ich, um unser Portfolio möglicher Aktivitäten bei suboptimaler Witterung etwas zu erweitern, in weiser Voraussicht zwei Drachen eingepackt. Johannes‘ Kinderausführung, die uns schon in Dänemark gute Dienste geleistet hat und meine „Lenk-Matte“, die ich auch in jenem Urlaub erworben habe, aber wegen zu wenig Wind nie richtig zum Einsatz bringen konnte. Heute jedoch könnte es klappen. Wir fahren rüber auf die Insel Gimsøya und packen am Strand von Hovsund die Fluggeräte aus. Glück gehabt, hier weht der Wind stetig und mit moderater Stärke. Nach ein paar Startschwierigkeiten habe ich meinen Lenkdrachen ganz gut im Griff und kann ihn am Ende fast eine Stunde lang am Stück fliegen lassen. Das macht Laune! Anne Gerd hat uns Kuchen und warmen Tee mitgegeben, den wir auf einer Bank am Strand genüßlich verzehren. Anschließend geht‘s frisch gestärkt an eine zweite Runde Drachensteigen, während Johannes an einem Bach in der Nähe des Strandes einen Staudamm baut. Und natürlich Steine ins Wasser wirft. Irgendwann werden mir jedoch die Arme schwer, und so packen wir unseren Kram zusammen und machen uns auf den Heimweg. Weil der Nachmittag so entspannt lief, darf sich Jo das Abendessen wünschen – na klar, Hamburger und Pommes. Die bekommt man in Svolvær unter anderem im „Anker Brygge Pub“, direkt am Hafen. Die Sonne scheint, der Ort ist einigermaßen windgeschützt, ein Postschiff liegt am Kai – also essen wir draußen.
Für Entertainment während der Mahlzeit sorgen zwei Wasserflugzeuge, die unmittelbar vor dem Pub am Steg festgezurrt waren und nun wieder startklar gemacht werden. Eine Maule Orion und eine DHC-2 „Beaver“ verlassen unter lautem Geknatter den Ankerplatz und tuckern Richtung Hafeneinfahrt, wo sie erst richtig Gas geben und noch vor dem Ende der Mole abheben. Johannes ist voll begeistert, auch weil ihm einer der Piloten beim Ablegen zugewunken hat und die fliegenden Kisten noch eine Showrunde über der Stadt absolvieren. „Papa, wir sollen morgen unbedingt wieder hierher kommen, denn bestimmt sind die beiden Flugzeuge jeden Tag da…“
Wir schlendern noch ein wenig durch die Souvenirläden, kaufen jedoch – heute ohne lange Diskussion – nichts ein, sondern schauen nur. Danach gehen wir zurück zum Haus und telefonieren auf dem „Affenfelsen“ noch mit unseren daheimgebliebenen Mädels, bevor wir mit Anne Gerd bei einem Glas Tee den Tag ausklingen lassen. Ich mache mich, nachdem ich Jo ins Bett gebracht und unsere Gastgeberin zum Babysitten überredet habe, noch mal auf den Weg, um vielleicht irgendwo in der Nähe das schöne Licht zu erwischen. Derzeit wachsen überall die großen pinkfarbenen Waldweidenröschen, die der Landschaft ein farbenfrohes Sommerkleid „überziehen“. Potentiell Motive ohne Ende also.
Während in Svolvær durchaus noch die Sonne scheint, ziehen sich auf dem Weg nach Norden die Wolken zusammen, und ich gebe meinen ursprünglichen Expeditionsplan auf. Eigentlich wollte ich bis nach Sigerfjorden auf Hinnøya zu fahren, von dort nach Sortland, weiter nach Süden und dann gegen zwei Uhr morgens ein perfektes Foto des Postschiffes vor der Lofotenwand schießen. Aber daraus wird nix. Ich biege an der Raftsundbrücke in Richtung Digermulen ab, warte auf die Hurtigruten, knipse ein paar Bilder mit lila Blumen, roten Holzhäusern und grauem Himmel und begebe mich etwas enttäuscht auf den Heimweg nach Svolvær.

auf dem Glomtind

 

Sonntag, 31. Juli

Heute steht ein wenig Kultur auf dem Programm. Wir steigen nach einem späten Frühstück gut gestärkt ins Auto und fahren nach Westen. Die mittlere Lofoteninsel Vestvågøya ist unser Ziel. Da Johannes von der Reise ein wenig mehr mitnehmen soll als die Erinnerung ans Steinewerfen an diversen Orten, besuchen wir das Wikingermuseum in Borg. Es fällt mir sofort positiv auf, daß die Anlage von Jahr zu Jahr erweitert wird. Wir schließen uns einer gerade beginnenden deutschsprachigen Führung an, bei der auch noch weitere Kinder anwesend sind. Meine Hoffnung, der Guide möge sich bei der Präsentation wissenschaftlicher Fakten auf sein zu einem Drittel junges Publikum einstellen, wird nicht enttäuscht. Locker und sehr anschaulich werden uns Einblicke in das Leben der Wikinger vermittelt, so daß Johannes auch kurz vor dem Ende des Rundgangs durch das große Langhaus noch voll bei der Sache ist. Besonders gut gefällt mir, daß man alles ausprobieren kann. Mein Sohn versucht sich am Mahlen von Getreide und freut sich, daß seine anstrengende Arbeit am Mühlstein, Modell „Table Top compact 1240“, immerhin mit einer kleinen Handvoll Mehl belohnt wird. Im Hauptraum werden gerade ein Kessel Eintopf und einige Fladenbrote nach überliefertem Rezept fertiggestellt. Da trifft es sich gut, daß wir etwas Appetit mitgebracht haben, und so bestellen wir zwei Portionen. Johannes, der sonst wirklich nicht alles an Gemüse ißt, was ihm vorgesetzt wird, verspeist seinen Pott Suppe mit großem Appetit und langt auch bei meiner Schüssel noch mal zu. Heute schmeckt auch das von mir im letzten Reisebericht als etwas zu trocken beanstandete „Flätbröd“ sehr gut – schließlich kann man es in die Brühe tunken.
Nach diesem Festmahl spazieren wir runter zum See Borgvatnet, wo sich ein kleiner Außenbereich des Museums befindet, und zwar ein Bootshaus mit Anleger und traditionellem Segelschiff, ein Lagerschuppen und eine Schmiede. Weil hier kurz nach dem Ende unseres Urlaubs, immer am ersten Wochenende im August, das jährliche Wikingerfestival stattfindet, haben sich die ersten Handwerker schon mal eingefunden und geben – authentisch kostümiert – eine Kostprobe ihrer Kunst. Glücklicherweise ist der Schmiedemeister ein Landsmann und übersetzt für Johannes die wichtigsten Teile seines kleinen Vortrages über sein Handwerk.
Es gibt kaum ein Gewässer, an dem mein Sohn vorbeigehen kann, ohne dort Steine hinein zu werfen. Und so kann ich eine Runde Siesta im Gras einlegen, während Jo die durchschnittliche Wassertiefe des Sees Borgvatnet in Ufernähe etwas reduziert. Das Einzige, was wir heute nicht mehr mitmachen können, ist eine Rudertour mit dem traditionellen Langboot der Wikinger. Die nächste Fahrt startet erst in einigen Stunden, und bis dahin hat mein Sohn entweder eine neue Mole aus kleinen Steinen aufgeschüttet oder ihm wird doch irgendwann langweilig. Letzteres tritt zuerst ein, und wir laufen wieder zum Parkplatz zurück, um die schönen Strände der Insel zu besuchen.
Oberhalb von Mærvoll am Tangstadfjord stellen wir unser Auto ab und wandern über die alte Paßstraße in Richtung Unstad. Oben am Scheitelpunkt soll noch irgendwo ein Geocache herumliegen. Den will Johannes finden. Es dauert auch nicht lange, bis er den „Schatz“ entdeckt hat – viele Versteckmöglichkeiten gibt es hier ja nicht. Wir laufen zurück zum Wagen und fahren noch weiter runter, bis zum Strand von Unstad, wo die grünen Steine auf große Begeisterung bei meinem Sohn stoßen. Ein paar Runden Springen von Stein zu Stein ist immer drin.
Mittlerweile haben wir Nachmittag, und weil Anne Gerd wieder gemeinsames Abendessen gewünscht hat, machen wir uns so langsam auf den Rückweg. Nicht jedoch, ohne dem „Lofotsenteret“ in Leknes und dem darin eingebauten großen Spielzeugladen einen Besuch abzustatten. Schließlich hat Johannes sein gesamtes Reisegeld bislang tapfer zusammengehalten und sucht jetzt nach einer Möglichkeit, dem Laden zu etwas Umsatz zu verhelfen. Allerdings ist er etwas enttäuscht, daß es hier doch ein zu 90% mit Deutschland identisches Warenangebot gibt. Also bleibt das Geld, wo es ist, und wir fahren wieder nach Osten.
Auf Gimsøya strahlt die Sonne heute richtig, darum machen wir noch einen kleinen Abstecher zum Strand in Vinje, wo mal wieder – man ahnt es bereits – Steine durch meinen Sprößling ins Wasser befördert werden. Ich habe somit etwas Zeit, um ein paar Panoramafotos dieser herrlichen Location zu schießen. Nach den beiden Pflicht-Programmpunkten suchen wir für unsere daheimgebliebenen Mädels noch ein paar schöne Muscheln als Mitbringsel. Da wir heute schon einige Zeit im Auto verbracht haben, stelle ich Johannes frei, ob er nach dem Abendessen mit mir an die Außenseite der Insel Austvågøya zum Sonnenuntergang mitkommen will oder lieber im Kreise der Familie Lind noch etwas Lego spielen. Während sich Anne Gerds Tochter Julia im Laufe des Tages wieder nach Südnorwegen zum Studium zurück begeben hat, ist Marius immer noch da und hat das große Piratenschiff fast fertig gestellt. Somit fällt die Wahl nicht schwer, und mein Sohn bleibt daheim.
Ich schaue mich rund um Laukvik etwas um, ob ich vielleicht ein paar mir unbekannte Fotospots ausfindig machen kann, aber so viel Neues gibt es hier heute nicht zu entdecken. Also entscheide ich mich für einen Abstecher zum Pavillon in Grunnfør und werde belohnt. Die komplette Wiese rund um diesen fotogenen Holzbau ist mit blühenden „Geitrams“, den lila Buschweidenröschen, zugewachsen. Hier entstehen heute einige meiner Lieblingsbilder der Lofoten. Zu noch mehr Fahrkilometern habe ich jedoch heute keine richtige Lust mehr und mache mich auf den Rückweg.
Obwohl wir mittlerweile halb elf haben, ist Johannes putzmunter und fleißig am Lego spielen, als ich am Haus eintreffe. Immer noch ist es taghell, wie soll man denn da bitteschön müde werden? Gemeinsam gehen wir noch mal vor zum Affenfelsen, rufen Melanie daheim an und warten im Abendsonnenschein auf die Abfahrt der nordgehenden Hurtigruten aus Svolvær. Eine halbe Stunde vor Mitternacht gehen wir ins Bett. Und die Sonne ist immer noch da…

Abend in Laukvik

älter Island 2011
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