
Blick über Moholmen Fyr zum Festland
Montag, 19. Mai
Sven möchte heute noch mal in der näheren Umgebung wandern gehen, und so fahren wir nach Kalle und laufen auf den Felsen an der Küste entlang. Später finden wir noch einen schönen Weg zur Bucht Bremvika im Südwesten der Insel. Wir kehren zurück zur Kallebukta und gehen von dort aus noch weiter nach Süden über die Felsen, bis wir einen perfekten Aussichtspunkt gefunden haben. In der Mitte des Vestfjords kann man die kleine Insel Moholmen erkennen, auf der nur ein Haus und ein Leuchtturm stehen. Ein klasse Motiv, das ich gleich fürs nächste Mal in meine Karte eintrage. Wir sitzen ein wenig in der Sonne und laufen dann zum Auto zurück. Auf der Heimfahrt machen wir noch einen kurzen Abstecher nach Kabelvåg. Eigentlich schade, daß ich das nicht eher entdeckt habe. Ein knuffiges Städtchen mit vielen bunten Holzhäusern, die zudem prima in Schuß sind. Am Hafen gibt es einen kleinen Marktplatz mit Geschäften und Cafés. Hier würde es sicher meiner Liebsten gefallen. Wird also notiert.
Da heute unser letzter Abend ist, wollen Sven und ich mexikanisch kochen (Fajita de Pollo, dafür brauche ich kein Rezept) und anschließend zusammen mit der WG und Elizabeth noch ein paar Cocktails trinken. Der Einkauf fürs Essen kostet nicht mehr als im Scheck-In-Center daheim, aber bei den Getränken und den Zutaten für die Cocktails sieht das ganz anders aus. Ein Sixpack Desperados kostet etwa 20 Euro, die 0,7l Flasche Bacardi 35 – zudem kann man im staatlichen Alkoholhandel „Vinmonopolet“ erst mit 25 einkaufen. Kurz vor acht treffen Irmhild und Elizabeth ein, und das Festmahl beginnt. Leider kommen wir nicht mehr zum gemütlichen Teil. Irgendwann während des Essens erwähnt Irmhild nebenbei, daß heute in Norwegen die Fluglotsen in einen unbefristeten Streik getreten sind. Derzeit noch nicht überall, erst mal an ausgewählten Flughäfen. Daß Svolvær unter diesen ist, erfahren wir gleich darauf in den Nachrichten. Wat nu?
Auf der Homepage von Avinor finde ich eine Telefonnummer, die man während des Streiks anrufen kann, um weitere Auskünfte zu erhalten. Dumm nur, daß es sich dabei um die private Handynummer des Pressesprechers der Lotsengewerkschaft handelt. Der ist wenig erbaut über meinen Anruf um diese Zeit und will leider auch unter Kollegen keine Angaben machen, wie lange der Ausstand noch dauert.
Avinor – voll die Ratten, ey!
Also noch mal die Verbindungen gecheckt: Wir könnten ja mit der Fähre aufs Festland nach Bodø fahren. Unglücklicherweise kommt morgens die erste nur 20 Minuten vor unserem Abflug dort an. Zu riskant. Heute abend geht keine direkte Verbindung mehr, wir könnten höchstens mit dem Auto nach Norden und von dort mit einem Schnellboot auf die Festland-Seite übersetzten. Aber das dauert mindestens 6 Stunden, und selbst dann steht unser Mietwagen in Bodø. Und Andreas und Holger, die angeboten haben, morgen früh unseren Mietwagen abzugeben, wollen wir diesen Trip nicht zumuten. Bleibt noch: die Flüge umbuchen. Plan A, von Bodø später loszufliegen, schlägt mangels telefonischer Erreichbarkeit von Scandinavian Airlines fehl. Unter keiner der weltweiten Hotlines erreicht man werktags um 20:30 Uhr noch jemanden. Peinlich, paßt aber zum Bild der Fluggesellschaft. Ganz anders dagegen Widerøe, die uns aufs Festland fliegen sollte. Die haben extra für die Dauer des Streiks eine kostenlose Nummer eingerichtet, wo auch gleich jemand ans Telefon geht. Also tritt Plan B in Kraft: Den Flug zum Festland umbuchen. Wir gehen mit dem Mitarbeiter vom Call-Center die Möglichkeiten durch. Es gibt nur eine halbwegs passende. Mit der letzten Fähre müssen wir nach Melbu auf Hadseløya übersetzen und von dort irgendwie versuchen, auf die nächste Insel weiter nördlich zu kommen, wo es in Skagen einen kleinen, derzeit noch nicht bestreikten Airport gibt. Wir werden auf den ersten Flug am nächsten Morgen umgebucht.
Jetzt heißt es: schnell sein, denn die besagte letzte Fähre geht in einer knappen Stunde, und wir müssen etwa 45 Minuten für die Fahrt dorthin einkalkulieren. Also schmeißen wir in aller Eile unsere Sachen in die Taschen, verabschieden uns hastig von Irmhild und Elizabeth und brechen mit den Jungs zum Fährhafen auf. Wir sind pünktlich und kommen auf der halbstündigen Überfahrt noch mal zum Verschnaufen. In Melbu angekommen, nehmen wir ein Taxi nach Stokmarknes zum Hurtigruten-Kai. Hier warten wir mitten in der Nacht einsam und allein knapp zwei Stunden auf die Ankunft der M/S „Finnmarken“, die uns zur nächsten Insel weiter nördlich bringen soll, auf der sich dann der Flughafen befindet. Man kann ihn vom Anleger aus sogar schon sehen, und eigentlich hätte uns der Taxifahrer direkt über die Hadselbrücke bis zum Terminal fahren können, aber dann müßten wir dort fast 6 Stunden lang in der Nacht sinnlos rumstehen. Lieber noch einen kleinen Ausflug eingebaut. Auch wenn diese Variante schon ein wenig umständlich scheint, ist Sven einverstanden. Immerhin ist es ja hell, und wir bekommen die Gelegenheit, noch einmal mit einem der berühmten norwegischen Postschiffe mitzufahren. Zwei Stunden aufwärmen, vielleicht einen Kaffee trinken und dabei noch etwas von der tollen Landschaft sehen, die an uns vorüber zieht. Und ich denke mir: Wenn wir schon nicht direkt zum Festland kommen können, dann will ich wenigstens einen Vorteil daraus ziehen.
Mittlerweile ist es ganz schön kühl geworden, und ich sehne die Ankunft des Schiffes herbei. Um 1:30 Uhr legt es endlich an, wir steigen ein, nehmen in der Bordbar noch einen Snack mit und gehen hoch in den warmen Panorama-Salon, den wir um diese Uhrzeit fast für uns alleine haben. Ich schiebe mir einen großen bequemen Lehnsessel ganz nach vorne, mache es mir darin gemütlich und döse vor mich hin, während die „Finnmarken“ langsam dem Sonnenaufgang entgegen fährt. In Sortland ist die Reise zwei Stunden später leider schon wieder zu Ende. Wir warten noch am Hafen, bis das Schiff wieder abgelegt hat und rufen dann ein Taxi zum Flughafen Skagen, 30 Kilometer weiter südlich – also genau die gleiche Strecke wieder zurück, aber so geht eben auch die Zeit rum.
Den Airport erreichen wir um viertel vor vier, ca. anderthalb Stunden vor seiner Öffnung, was bedeutet, daß wir wieder in der Kälte warten müssen. Aber nicht allzu lange; denn schon 4:15 Uhr kommt der erste Flughafenmitarbeiter zum Dienst, hat Mitleid mit uns und läßt uns rein. Todmüde lege ich mich im Terminal erst mal auf eine Bank und schlafe fast eine Stunde richtig fest. Das tut gut…
Ab dann funktioniert alles reibungslos. Der Lotsenstreik wird nicht ausgeweitet, und unser Flug aufs Festland geht pünktlich um 6:17 Uhr. Bemerkenswert finde ich im Nachhinein, daß Widerøe zumindest bei den Flügen von und nach Bodø nur solche krummen Abflugzeiten im Programm hat. Vielleicht soll das eine besonders hohe Präzision der Flugpläne suggerieren. Bei den Zwischenstops in Oslo und Frankfurt können wir jeweils noch was essen, und schließlich komme ich erschöpft, aber überglücklich, 22 Stunden nach unserer Abreise endlich zu Hause in Karlsruhe an. Bis zum nächsten Mal…
Lofotenwand bei Sonnenaufgang

Kommentare sind deaktiviert