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Straßenumzug zum Nationalfeiertag

Samstag, 17. Mai

Heute ist der große Tag der Norweger. Anne Gerd hat schon zeitig Frühstück vorbereitet: eine Menge belegter Brötchen, mit denen sie heute morgen bereits ein paar „Russe“ versorgt hat. Die haben sich letzte Nacht der Aufgabe 10 (heimliches [!] Übernachten im Garten eines Lehrers) gewidmet, sind jetzt ordentlich durchgefroren und – Heimlichkeit hin oder her – dankbar für das Catering durch ihre Lehrerin. Wir beeilen uns beim Essen, um den großen Trachtenumzug durch die Stadt nicht zu verpassen. Alle machen mit: jung und alt, vom Kindergartenkind bis zum greisen Opa im Rollstuhl. Und viele Norwegerinnen haben auch die traditionellen Bunads an. Diese werden zumeist noch in Handarbeit hergestellt und sind darum nicht gerade billig. Einige Damen tragen also mal eben einen Kleinwagen am Körper. Die gutbetuchten haben folgerichtig einen Mercedes oder vielleicht einen gebrauchten Porsche umhängen. Einige Tausend Leute sind gekommen, insofern bemerkenswert, als da Svolvær selbst nur 4500 Einwohner hat. Gutgelaunt zieht die bunte Schar zum Marktplatz. Dort erfolgt neben diversen Festreden das Absingen der Nationalhymne. Anschließend zerstreut sich das Volk, um zu Hause im privaten Kreis noch ein wenig weiter zu feiern.
Unsere kleine Wohngemeinschaft unternimmt am Nachmittag einen Ausflug zum höchsten Berg auf Gimsøya. Eigentlich wollen wir Kajak fahren und haben auch alles Equipment dabei, aber an der Nordmeerküste ist es heute zu windig für uns Anfänger. Also wird wieder Plan B aus der Tasche geholt. In einer reichlichen Stunde erklimmen wir den Gipfel des Hovden und genießen bei einem Picknick die atemberaubende Aussicht auf das Nordmeer. Anne Gerd amüsiert sich derweil über unsere Eigenart, sich bei jeder Bergbesteigung erst mal einen ordentlichen „Gipfelschluck“ zu genehmigen. Sie paßt sich den Sitten an und trinkt einen kleinen Schnaps mit.
Für den Abend hat uns Elizabeth zum Essen eingeladen. Wie sie uns nach unserem Eintreffen erklärt, hat sie beim Telefongespräch mit ihrer Tochter mächtig Eindruck mit der Bemerkung gemacht, daß heute vier gutaussehende deutsche Gentlemen im besten Alter bei ihr zu Gast sind. Wir bekommen ein kolumbianisches Gericht serviert, das mich an Chili con Carne mit extra Kartoffeln erinnert und ganz lecker schmeckt. Holger hat wieder Kuchen gebacken, und die Fluglotsenfraktion beteiligt sich mit einer großen Flasche Alkohol in Form von pfälzischem Wein am Gelingen des Abends. Ganz baff sind die Damen, als wir Männer nach dem Essen freiwillig in die Küche Abwaschen gehen. Scheint hier sonst eher die Ausnahme zu sein. Wir kommen zum gemütlichen Teil, der mit ausgiebigem Genuß von Café con Whiskey beginnt. In kurzer Zeit leeren wir zwei Thermoskannen und eine Literflasche. Ich verzichte ab der zweiten Tasse auf den Kaffee und trinke nur noch den Whiskey. Die Stimmung wird immer besser, und später zeigt uns Anne Gerd mit Hilfe von zwei Stühlen, wie sie vor einigen Jahren auf die „Svolvær-Ziege“ (ein spitzer Felsen) geklettert ist und dort mit Unterstützung ihres Freundes Jan-Erik die ultimative Mutprobe der Lofoten bestanden hat: den Sprung von einem Horn zum anderen. An sich nicht schwierig, weil die beiden Felsspitzen lediglich knapp zwei Meter voneinander entfernt sind. Steht man jedoch auf der einen und sieht unvorsichtigerweise nach unten, dann kommt erst einmal sehr lange nichts. Danach einige hundert Meter tiefer gleich der Friedhof. Da ist Präzision beim Springen gefragt. Anne Gerds Darbietung erntet großen Beifall. Anschließend unternimmt Elizabeth mit uns eine virtuelle „Tour de Columbia“, also mit dem Finger auf der Landkarte. Wortreich und mit viel Hingabe, letztendlich aber für mich unverständlich (weil komplett auf spanisch), beschreibt sie uns die Schönheit ihrer alten Heimat und erzählt uns, was wir uns alles anschauen müssen, wenn wir alle demnächst mal dort sind.
Sie blüht dabei richtig auf. Anne Gerd berichtet mir später, daß sie ihre Freundin lange nicht mehr so strahlen gesehen hat, wie an diesem Abend. Weiter erfahre ich, daß mit den meisten Norwegern sei so eine Art Veranstaltung nicht zu machen sei. Gemütlich zusammen essen, sich nett unterhalten und mit Hilfe von ein paar Gläschen ganz entspannt und allmählich vom nüchternen in einen leicht angerauschten Zustand hinüber zu gleiten: Das geht hier nicht. Bei norwegischen Männern steht üblicherweise die schnelle Erreichung eines starken Rausches im Vordergrund. Also hastig viel trinken, umfallen und dann hat es sich. Es gibt sogar ein Wort dafür: Helgefyll (Wochenendsuff). Wir verabschieden uns, als es am schönsten ist, nicht jedoch, ohne Elizabeth zu unserem Abschlußabend einzuladen, wo Sven und ich mexikanisch kochen wollen. Unsere WG unternimmt noch einen kurzen Abendspaziergang durch Svolvær. Andreas versucht, auf der Svinøya-Brücke noch ein gescheites Gruppenfoto von uns zu schießen, aber irgendwie sind alle zu albern. Holger und die Mädels gehen vom Hafen aus direkt nach Hause. Sven, Andreas und ich trinken noch ein Absackerbier im „Bacalao“. Heute abend ist es richtig voll, weil ein Großteil der ortsansässigen jungen Leute hier den Nationalfeiertag ausklingen läßt.

Sven auf dem Gipfel des Hoven

 

Sonntag, 18. Mai

Anne Gerd hat kurz vor dem Frühstück einen Anruf ihrer Tochter Mari Mette erhalten, daß sie ganz dringend vorbeikommen soll, weil’s ihr nicht so gut geht. Dumm nur, daß das Töchterlein auf dem Festland wohnt, und die Reise dorthin etwa 6 Stunden dauert. Richtig Lust hat unsere Wirtin gerade nicht darauf, und so fällt es uns leicht, sie zu überreden, doch erst am Abend zu fahren. Den Tag wollen wir noch für eine gemeinsame Outdoor-Aktivität nutzen. Da wir zwar bewölkten Himmel, aber kaum Wind haben, entscheiden wir uns für eine kurze Kajaktour in der Ørsvåg-Bucht, unweit von Svolvær. Anne Gerds Kumpel Jan Erik hat sich angeboten, uns zu begleiten, weil er ein zweites Boot hat und uns die richtige Paddeltechnik beibringen kann. Er ist amüsiert darüber, wie dick eingepackt wir bei geradezu sommerlichen Temperaturen von 7 Grad Celsius daher kommen. Wir: mindestens Dreischicht-Zwiebeltechnik plus Regenkleidung und dicke Schuhe. Er: kurze Hose, barfuß und T-Shirt mit Weste. Ein echter Nordmann eben…
Nach einer kurzen Einweisung werden die Kajaks zu Wasser gelassen, und wir können uns mit ihnen schon mal anfreunden, während Anne Gerd und Jan Erik noch die Ausrüstung in ihren Booten verstauen. Mir ist ein bißchen mulmig, denn das Kajak ist nicht etwa offen, sondern man kommt nur durch ein relativ kleines Loch oben rein und wieder raus. Dies wird, sobald man drin sitzt, noch mit einer dicken Regenplane abgedichtet, die ich nur mit viel Kraft drauf- und probeweise wieder ab bekomme. Was passiert, wenn ich das Gleichgewicht verliere und mit dem Kahn umkippe, darüber wage ich lieber gar nicht nachzudenken.
Und die Kiste wackelt! Aber relativ schnell habe ich ein Gefühl dafür, wie ich sitzen muß, um mich einigermaßen sicher zu fühlen. Die Ørsvåg-Bucht sieht von oben betrachtet aus wie ein großes Ahornblatt mit 5 Zacken. Der Hafen ist in einem davon, und wir wollen im Lauf des Vormittags alle fünf abfahren. Los geht‘s! Wir durchqueren zusammen den ersten Zacken, dann geht es immer an der Uferlinie den ganzen „Blattrand“ entlang. Eine gute Stunde später, in der letzten Teilbucht, teilt sich dann die Gruppe. Jan Erik und Andreas wollen noch raus auf den Vestfjord zu einer der vorgelagerten Inseln paddeln und diese umrunden. Sven und Anne Gerd entscheiden sich für eine gemütliche Rücktour. Ich schließe mich der ersten Gruppe an, nehme mir aber vor, bei zu hohen Wellen umzukehren. Und siehe da: sobald man die Bucht verläßt, schaukelt es ganz schön. Ich lasse die beiden anderen ziehen und begebe mich auf eigene Faust auf den Rückweg. Nun bin ich ganz allein, und mir wird wieder etwas mulmig, weil mir niemand helfen kann, falls ich umkippe. Also fahre ich dicht am Ufer am Außenrand der Bucht zurück. Zwischendurch verheddere mich immer wieder im Seetang oder laufe auf Felsen auf, von denen ich mich jedes Mal mühevoll wieder herunter manövrieren muß. Und die Strecke zieht sich! Schätzungsweise eine Stunde bin ich schon allein unterwegs, und mir werden langsam die Arme schwer, da taucht um die Ecke endlich die Hafenbucht auf. Jan Erik kommt mit seinem Kajak vorbeigepaddelt und motiviert mich noch mal für das letzte Stück bis zum Ziel. Zehn Minuten später: endlich wieder fester Boden unter den Füßen. Jetzt nur schnell alle Ausrüstung und die Boote auf die Autos verteilen und dann ab nach Hause. Jetzt habe ich Hunger!
Auf dem Rückweg nach Svolvær halten wir in Kabelvåg, wo wir am Anleger eines Hotels Picknick machen. Zurück daheim, packt Anne Gerd schon mal ihre Sachen. Ihre Tochter hat sie bei einem erneuten Telefonat darum gebeten, mindestens eine Woche dort zu bleiben. Die Stimmung ist gedämpft. Nach einem kurzen Abendessen verabschieden wir uns von unserer Herbergsmutter und beschließen, uns alle im Herbst in Berlin bei Holger und Andreas zu treffen. Sven und ich begeben uns noch mal hinunter zum Hafen, wo später die M/S „Trollfjord“ von Norden her einläuft. Heute probieren wir mal eine andere Stelle aus. Ein weiter weg gelegener Felsen, windgeschützt, mit einer Bank zum Sitzen und traumhafter Aussicht auf die Inseln Skrova, Lille Molla und auf das gegenüberliegende Festland. Auf dem Fußweg dorthin kommt man an alten Bunkeranlagen vorbei, hier sind noch Reste von alten Hafengeschützen zu sehen. Sollte ich noch mal allein nach Svolvær kommen, werde ich eine Expedition in die Katakomben unternehmen. Kommt Melanie mit, gibt‘s Händchenhalten auf der Bank.
Da Holger und Andreas vor zwei Tagen in Reine das Essen unnötigerweise bezahlt haben, laden wir sie heute ein ins „Anker Brygge“, eines der besseren Restaurants von Svolvær. Unser absoluter Top-Favorit, das „Du Verden“ am Hafen, wo der norwegische Alfons Schuhbeck kocht, hat leider in der Vorsaison geschlossen. Das „Anker Brygge“ zehrt von seinem Ruf – wo immer es den auch her haben mag. Sicher, das Ambiente ist toll: ein altes Speicherhaus am Hafen, vollgepackt mit allerlei Antiquitäten, und super hergerichtet. Aber Optik ist nicht alles: Unsere Bedienung hat leider wieder gewohnt niedriges Karlsruher Niveau. Die Kellnerin wirkt überheblich, kommt nicht aus den Puschen und peilt nix. Dafür ist sie aber immerhin hübsch anzuschauen. Über die Qualität des Essens sei nur so viel gesagt: Selten zuvor hatte ich das Gefühl, für 40 Euro ein Hauptgericht vorgesetzt zu bekommen, daß ganz offensichtlich mit Maggitüten gekocht wurde. Wir verzichten auf das angebotene Dessert und machen uns schleunigst auf den Weg zum Raftsund, wo die M/S „Nordkapp“ durchfahren soll. Wir wollen diesmal deren Einfahrt in den Trollfjord fotografieren. Dazu habe ich extra den vermuteten besten Standort vor dem Urlaub in mein Navi eingetragen. Da sich die Hurtigruten ein wenig verspätet, haben wir genug Zeit, uns einen guten Aussichtspunkt zu suchen. Um 23:30 Uhr fährt das Schiff in den Trollfjord, kommt 20 Minuten später direkt vor uns vorbei und dampft in den Raftsund davon. Wir also: Alarmstart, rasen zur zweiten Position direkt am Wasser und bekommen den Dampfer gerade gut aufs Bild. Wieder alles schnell eingepackt und weitergefahren zur Raftsundbrücke. Sven muß ganz schön Gas geben, denn das heutige Schiff ist moderner und somit schneller als die alte M/S „Lofoten“ vor einigen Tagen. Aber wir kriegen ein tolles Bild, weil sich unmittelbar hinter der Brücke innerhalb von Minuten ein heftiges Unwetter gebildet hat, in das der Kahn direkt hinein dampft. Wenige hundert Meter weiter wird er von der Wolke verschluckt. Sieht beeindruckend aus.

MS ‚Nordkapp‘ fährt in ein Unwetter hinein

älter Lofoten 2006
neuer Lofoten 2009

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