
Brücke über den Gimsøystraumen
Mittwoch, 14. Mai
Heute bewegen wir uns wieder nach Süden. „Rund um Gimsøya“ heißt das Motto.
Kurz bevor wir Austvågøya verlassen, fotografiere ich noch die eindrucksvolle Gimsøystraumen-Brücke. Auf der Nachbarinsel angekommen, stoßen wir zunächst auf den kleinen Friedhof an der Nordküste. Die dazugehörige Kirche ist dermaßen Wind und Wetter ausgesetzt, daß sie auf einer Seite schon von starken Stahlseilen gehalten werden muß. Wir fahren weiter an der wilden Nordmeerküste entlang, am einzigen Golfplatz der Lofoten vorbei, der sich in den Schatten des Hovden zu ducken scheint. Der größte Berg dieser Insel liegt erhaben inmitten völlig ebener Umgebung und sieht aus wie ein Bügeleisen, das auf die Seite gekippt wurde. Auf dem flacheren Hang gibt es einen bequemen Wanderweg zum Gipfel, die andere Seite fällt lofoten-typisch extrem steil ab. Viel mehr gibt die Insel jedoch im Augenblick nicht her, also fahren wir weiter auf ihre südliche Nachbarin Vestvågøya. Im Reisebericht von 2006 hatte ich deren landschaftliche Langweiligkeit bemängelt – wohl auch, weil ich wegen des damals dort herrschenden schlechten Wetters meist nur schnell hindurch gefahren bin. Heute soll das anders werden. Wir nehmen nicht den direkten Weg über die E10, sondern fahren auf einer schmalen Schotterpiste an der Nordseite der Insel entlang. Auch hier finden wir wieder kleine gemütliche Dörfer und Siedlungen, mehr oder weniger verlassene Häfen und eine rauhe, schöne Küstenlandschaft. Wieder zurück auf der Hauptstraße, fällt uns bei Borg eine neue Attraktion auf: ein Rastplatz mit spektakulärer Panorama-Aussicht quer über die Insel. Heute sieht Vestvågøya richtig beeindruckend aus. In der Mitte die Kirche von Borg, die von ihren Baumeistern sehr geschickt in die Landschaft plaziert wurde. Auf einem Hügel stehend, ist sie spät abends das einzige Gebäude, das von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne noch angeleuchtet wird.
Nach dem Mittagessen in Leknes wollen wir wandern gehen, schließlich ist Sven gerade deswegen mit hierhergekommen. Eine schöne Tour entlang der Nordküste, von Unnstad nach Eggum, wird in jedem Reiseführer empfohlen. Sieht nicht allzulang aus, vielleicht schaffen wir das am Nachmittag. Ich nehme meinen Fotorucksack und sogar das Stativ mit. Daß dies keine so gute Idee ist, zeigt sich einige Zeit später. Der Weg ist irre steil und schmal und fällt zur Küste hin stark ab, so daß mir doch stellenweise ein wenig mulmig wird. Die Aussicht jedoch ist phänomenal. Angesichts des Gewichts auf meinem Rücken freue ich mich schon auf den flacheren zweiten Streckenabschnitt. Weniger Steigung hat er zwar, aber eben ist er keinesfalls. Ständig müssen große Felsen überwunden werden, so daß ich Sven nach über einer Stunde Kraxelei bitte, angesichts meines immer schwerer werdenden Sturmgepäcks, umzudrehen. Zurück in Unnstad entdecke ich am Strand grüne Steine, die ich schon auf Fotos im Internet so toll fand. Auf dem Weg nach Hause fallen mir die vielen Leute auf, die überall herumliegenden Müll einsammeln. Jetzt dämmert es mir: am Samstag ist ja der Nationalfeiertag, da wird praktisch in einem landesweiten Subotnik Norwegen so richtig fein rausgeputzt. Tolle Idee, das sollten wir in Deutschland auch mal probieren. Gemeinsame Arbeit schweißt Leute zusammen, man kann etwas für die Integration tun, und hinterher blinkt und blitzt das Land wie neu: mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Norwegen und die Hurtigruten – das gehört für mich irgendwie zusammen. Deswegen habe ich mir für diesen Urlaub vorgenommen, möglichst viele der Postschiffe zu fotografieren. Was liegt also näher, als zum Hafen nach Svolvær zu fahren und dort auf die Ankunft zu warten? Schnell erspähe ich den optimalen Foto-Standort, einen Felsen mit aufgestecktem Mini-Leuchtturm direkt an der Hafeneinfahrt. Leider wird uns der Zugang dorthin durch das Wachpersonal einer nahegelegenen Baustelle verwehrt. Also klettern wir an einer anderen Stelle über die Klippen und finden die zweitbeste Position fürs Zieleinlauf-Bild.
Überraschend werden wir zum Abendessen eingeladen. Anne Gerd und Irmhild haben gekocht. Es gibt Lachs mit Sahnesauce, exzellenten Salat sowie einen leckeren Apfelkuchen, den Holger gebacken hat. Vermutlich war ihm etwas langweilig wegen der fehlenden Shoppingmöglichkeiten. Ein Special Guest ist auch da: Anne Gerds Freundin Elizabeth. Sie stammt eigentlich aus Kolumbien und ist heute abend irre froh, mal wieder in ihrer Muttersprache Spanisch sprechen zu können. Holger und Andreas können’s nämlich. Den anderen teilt sie sich in einem Mix aus Norwegisch und ein paar Brocken Englisch mit. Die Stimmung ist sehr gut, und so beschließen wir, nach dem Essen zusammen nach Grunnfør zu fahren: einem kleinen Ort an der Nordmeerküste, von dem aus man einen tollen Blick auf die über den Vesterålen untergehende Sonne hat. Um dieses Erlebnis noch perfekter zu machen, haben die Norweger hier einen Holzpavillon an den Strand gebaut, wo man windgeschützt und in gemütlicher Atmosphäre das großartige Schauspiel genießen kann. Wir Jungs folgen mit unserem Citroën Irmhild, die mit Elizabeth zusammen Anne Gerds Auto fährt. Natürlich müssen wir unterwegs ein paarmal anhalten, weil Andreas mindestens genauso fotoverrückt ist wie ich.
Der letzte Halt zieht sich ein paar Minuten hin, inzwischen haben Irmhild und Elizabeth zurückgesetzt, um mit uns die verbleibende Wegstrecke zu besprechen. Hier begehe ich einen folgenschweren Fehler. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Karte, weiß genau, wo der Pavillon sein muß und fahre mit den Jungs voran. Vielleicht ein bißchen zu schnell, denn wir verlieren die Mädels aus dem Rückspiegel. Aber wir haben gerade die „Rallye“-Einstellung unseres Fahrwerks entdeckt. Muß man ja mal unter praxisnahen Bedingungen testen! Kein Problem, hoffe ich – wir sind schon fast am Ziel, Irmhild ja hat die Karte, und außerdem haben wir ja gerade alles besprochen. Kein Problem? Denkste! Nach etwa einer halben Stunde am Pavillon machen wir uns dann doch ernsthafte Sorgen um den Verbleib der beiden Damen. Also entschließe ich mich, aus dem Holzhaus einen Leuchtturm zu machen und montiere mein Blitzlicht so auf das Stativ, daß es die einige hundert Meter entfernte Straße anleuchten kann. Bei jedem herannahenden Auto mache ich nun eine Reihenaufnahme mit maximaler Lichtleistung, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit von Irmhild und Elizabeth auf uns zu lenken. Und siehe da: es klappt. Die Damen sind beim Vorbeifahren auf die Blitze von der Küste aufmerksam geworden und haben den Pavillon letztendlich doch noch gefunden. Aber Irmhild ist sauer. Ich zeige Reue und entschuldige mich für mein zu schnelles Vorausfahren. Mir wird großmütig verziehen, und die Stimmung bessert sich mit jeder Runde aus der Grappaflasche (Grappa di Barolo von Sibona), die ich extra zum schnellen Erreichen von Gemütlichkeit mitgenommen habe. Am Ende sind wir alle wieder lieb miteinander und genießen gemeinsam die traumhafte Aussicht auf den grellroten Himmel über dem Nordmeer. Beim Rückweg sind die Mädels schlauer, fahren nun ihrerseits vor, so daß wir in aller Ruhe auf unserem Weg noch ein paar Fotohalte einlegen können. Stellenweise rollt Holger schon mal genervt mit den Augen. Ein Fotoverrückter ist ja schon schlimm, und wenn sich zwei noch gegenseitig anstacheln… Aber Andreas und ich wollen kein Motiv verpassen.
Laukvik um Mitternacht

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