
10 Jun 2008 Lofoten 2008
Samstag, 17. Mai
Heute ist der große Tag der Norweger. Anne Gerd hat schon zeitig Frühstück vorbereitet: eine Menge belegter Brötchen, mit denen sie heute morgen bereits ein paar „Russe“ versorgt hat. Die haben sich letzte Nacht der Aufgabe 10 (heimliches [!] Übernachten im Garten eines Lehrers) gewidmet, sind jetzt ordentlich durchgefroren und – Heimlichkeit hin oder her – dankbar für das Catering durch ihre Lehrerin. Wir beeilen uns beim Essen, um den großen Trachtenumzug durch die Stadt nicht zu verpassen. Alle machen mit: jung und alt, vom Kindergartenkind bis zum greisen Opa im Rollstuhl. Und viele Norwegerinnen haben auch die traditionellen Bunads an. Diese werden zumeist noch in Handarbeit hergestellt und sind darum nicht gerade billig. Einige Damen tragen also mal eben einen Kleinwagen am Körper. Die gutbetuchten haben folgerichtig einen Mercedes oder vielleicht einen gebrauchten Porsche umhängen. Einige Tausend Leute sind gekommen, insofern bemerkenswert, als da Svolvær selbst nur 4500 Einwohner hat. Gutgelaunt zieht die bunte Schar zum Marktplatz. Dort erfolgt neben diversen Festreden das Absingen der Nationalhymne. Anschließend zerstreut sich das Volk, um zu Hause im privaten Kreis noch ein wenig weiter zu feiern.
Unsere kleine Wohngemeinschaft unternimmt am Nachmittag einen Ausflug zum höchsten Berg auf Gimsøya. Eigentlich wollen wir Kajak fahren und haben auch alles Equipment dabei, aber an der Nordmeerküste ist es heute zu windig für uns Anfänger. Also wird wieder Plan B aus der Tasche geholt. In einer reichlichen Stunde erklimmen wir den Gipfel des Hovden und genießen bei einem Picknick die atemberaubende Aussicht auf das Nordmeer. Anne Gerd amüsiert sich derweil über unsere Eigenart, sich bei jeder Bergbesteigung erst mal einen ordentlichen „Gipfelschluck“ zu genehmigen. Sie paßt sich den Sitten an und trinkt einen kleinen Schnaps mit.
Für den Abend hat uns Elizabeth zum Essen eingeladen. Wie sie uns nach unserem Eintreffen erklärt, hat sie beim Telefongespräch mit ihrer Tochter mächtig Eindruck mit der Bemerkung gemacht, daß heute vier gutaussehende deutsche Gentlemen im besten Alter bei ihr zu Gast sind. Wir bekommen ein kolumbianisches Gericht serviert, das mich an Chili con Carne mit extra Kartoffeln erinnert und ganz lecker schmeckt. Holger hat wieder Kuchen gebacken, und die Fluglotsenfraktion beteiligt sich mit einer großen Flasche Alkohol in Form von pfälzischem Wein am Gelingen des Abends. Ganz baff sind die Damen, als wir Männer nach dem Essen freiwillig in die Küche Abwaschen gehen. Scheint hier sonst eher die Ausnahme zu sein. Wir kommen zum gemütlichen Teil, der mit ausgiebigem Genuß von Café con Whiskey beginnt. In kurzer Zeit leeren wir zwei Thermoskannen und eine Literflasche. Ich verzichte ab der zweiten Tasse auf den Kaffee und trinke nur noch den Whiskey. Die Stimmung wird immer besser, und später zeigt uns Anne Gerd mit Hilfe von zwei Stühlen, wie sie vor einigen Jahren auf die „Svolvær-Ziege“ (ein spitzer Felsen) geklettert ist und dort mit Unterstützung ihres Freundes Jan-Erik die ultimative Mutprobe der Lofoten bestanden hat: den Sprung von einem Horn zum anderen. An sich nicht schwierig, weil die beiden Felsspitzen lediglich knapp zwei Meter voneinander entfernt sind. Steht man jedoch auf der einen und sieht unvorsichtigerweise nach unten, dann kommt erst einmal sehr lange nichts. Danach einige hundert Meter tiefer gleich der Friedhof. Da ist Präzision beim Springen gefragt. Anne Gerds Darbietung erntet großen Beifall. Anschließend unternimmt Elizabeth mit uns eine virtuelle „Tour de Columbia“, also mit dem Finger auf der Landkarte. Wortreich und mit viel Hingabe, letztendlich aber für mich unverständlich (weil komplett auf spanisch), beschreibt sie uns die Schönheit ihrer alten Heimat und erzählt uns, was wir uns alles anschauen müssen, wenn wir alle demnächst mal dort sind.
Sie blüht dabei richtig auf. Anne Gerd berichtet mir später, daß sie ihre Freundin lange nicht mehr so strahlen gesehen hat, wie an diesem Abend. Weiter erfahre ich, daß mit den meisten Norwegern sei so eine Art Veranstaltung nicht zu machen sei. Gemütlich zusammen essen, sich nett unterhalten und mit Hilfe von ein paar Gläschen ganz entspannt und allmählich vom nüchternen in einen leicht angerauschten Zustand hinüber zu gleiten: Das geht hier nicht. Bei norwegischen Männern steht üblicherweise die schnelle Erreichung eines starken Rausches im Vordergrund. Also hastig viel trinken, umfallen und dann hat es sich. Es gibt sogar ein Wort dafür: Helgefyll (Wochenendsuff). Wir verabschieden uns, als es am schönsten ist, nicht jedoch, ohne Elizabeth zu unserem Abschlußabend einzuladen, wo Sven und ich mexikanisch kochen wollen. Unsere WG unternimmt noch einen kurzen Abendspaziergang durch Svolvær. Andreas versucht, auf der Svinøya-Brücke noch ein gescheites Gruppenfoto von uns zu schießen, aber irgendwie sind alle zu albern. Holger und die Mädels gehen vom Hafen aus direkt nach Hause. Sven, Andreas und ich trinken noch ein Absackerbier im „Bacalao“. Heute abend ist es richtig voll, weil ein Großteil der ortsansässigen jungen Leute hier den Nationalfeiertag ausklingen läßt.